"Eine Trendwende muss her"

BERLIN. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, tritt Forderungen aus den Reihen der Union entgegen, bei der Reform des Kündigungsschutzes den Koalitionsvertrag neu zu verhandeln. "Wir werden beim Kündigungsschutz die Koalitionsvereinbarung umsetzen", so Kauder im Gespräch mit unserer Zeitung.

Herr Kauder, die Bundeskanzlerin hat die zweite Etappe der Regierungsarbeit ausgerufen. Was wird das für eine Etappe werden?Kauder: Eine Etappe der weiteren Umsetzung der Koalitionsvereinbarung. Wir werden wichtige Modernisierungsmaßnahmen auf den Weg bringen. Ich nenne nur die Gesundheitsreform, die Reform der Unternehmensbesteuerung und Maßnahmen am Arbeitsmarkt, wie die Neuordnung des Niedriglohnsektors und den Kündigungsschutz. Wird am Ende dieses Abschnitts auch die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt stehen?Kauder: Das ist das große Ziel der Koalition. Eine Trendwende muss nach den vier gemeinsamen Jahren, die sich Union und SPD vorgenommen haben, erreicht sein. Daran werden wir uns auch messen lassen. Also nie wieder über fünf Millionen Arbeitslose?Kauder: Über Zahlen rede ich nicht. Mit so einem Versprechen ist ein Bundeskanzler schon einmal richtig aufgelaufen. Minister Müntefering hat jetzt verärgert die Umsetzung der Koalitionspläne zum Kündigungsschutz gestoppt. Machen Sie sich die Stimmen in der Union zu Eigen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen wollen? Kauder: Wir werden beim Kündigungsschutz die Koalitionsvereinbarung umsetzen. Bevor die Wirkung der Neuregelung noch nicht klar ist, brauchen wir gar nicht diskutieren, was darüber hinaus gemacht werden muss. Ich sage aber auch: Die Union wird weiter denken. Jede weitere Reformmaßnahme werden wir daraufhin prüfen, ob sie ausreicht, um Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das gilt auch für den Kündigungsschutz. Der Koalitionsvertrag sieht bei Neueinstellungen eine zweijährige Probezeit vor. In Frankreich wird gegen solche Pläne heftig protestiert. Fürchten Sie, dass es auch in Deutschland massive Proteste geben wird?Kauder: Deutschland und Frankreich sind in dieser Hinsicht nicht zu vergleichen. Gestern gab es ein Spitzengespräch zwischen den Koalitionspartnern zur Gesundheitsreform. Droht ein fauler Kompromiss, damit beide Seiten nach der nächsten Bundestagswahl ihre unvereinbaren Pläne doch noch umsetzen können?Kauder: Wir werden ein System finden, das der demografischen Entwicklung gerecht wird, allen Menschen das medizinisch Notwendige gibt und sie am medizinischen Fortschritt teilhaben lässt. Wir setzen dabei klar auf mehr Wettbewerb und wollen den Arbeitsmarkt von den zu hohen Gesundheitskosten entlasten. Werden durch die Reform zusätzliche Belastungen für den Bürger verhindert?Kauder: Das ist ein Irrglaube. Die Gesundheitsreform wird die Kosten für die Bürger nicht verringern. Gesundheit wird teurer, weil die Menschen länger leben. Der Mehraufwand muss aber gerecht verteilt werden. Und das ist die ganz große Aufgabe dieser Reform. Zusätzliche Belastungen wird es nicht nur bei der Gesundheit, sondern auch bei Rente und Pflege geben. Anfang 2007 wird dann noch die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht. Läuft die Koalition nicht Gefahr, als eine Koalition der Abkassierer dazustehen?Kauder: Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. Wir werden immer weniger junge Menschen haben, die Beiträge bezahlen können. Die Menschen werden aber im Durchschnitt älter, und das bedeutet längeren Bezug von Rente, eine längere Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Abmildern kann man dies nur, wenn wieder mehr Menschen in Arbeit sind und in die sozialen Sicherungssysteme einbezahlen. Das Interview führten unsere Korrespondenten Werner Kolhoff und Hagen Strauß.

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