Einer, der sich nie verbiegen ließ

TRIER. Wenn der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt heute den Nell-Breuning-Preis der Stadt Trier erhält, gilt die Ehrung einem Politiker und Publizisten, der politisches Handwerk und philosophische Tiefe miteinander verbindet.

Es war im September 1976, der Bundestagswahlkampf tobte unter dem von der CDU propagierten Slogan "Freiheit statt Sozialismus". In einer völlig überfüllten Mäusheckerweghalle hielt Helmut Schmidt seine erste Wahlkampfrede als Bundeskanzler in Trier. Wahlkampf auf philosophischem Niveau

Mitten in seinem Vortrag - es ging um die aktuellen Reizthemen Vollbeschäftigung, Wirtschaftskrise, Ölschock, innere Sicherheit - hielt Schmidt plötzlich inne und begann einen ausführlichen, minutenlangen philosophischen Exkurs über den Begriff der Freiheit. Freiheit sei stets "sowohl Freiheit von Furcht als auch Freiheit von Not". Untermauert mit Zitaten von Kant bis Popper offenbarte der SPD-Politiker sein Credo: Neben die Freiheit, keine Angst vor zu viel staatlicher Bevormundung haben zu müssen, trete gleichberechtigt die Freiheit, nicht um seine soziale Existenz bangen zu müssen. Das klingt drei Jahrzehnte später in mehrfacher Hinsicht anachronistisch. Niveauvolle philosophische Exkurse passen in die auf Marketinggesichtspunkte abgefassten, synthetischen Wahlreden unserer Tage längst nicht mehr hinein. Und den Anspruch auf eine sorgenfreie soziale Existenz haben Schmidts Nachfolger quer durchs Parteienspektrum längst abgeschafft. Des Altkanzlers Warnungen vor einem schrankenlosen "Raubtierkapitalismus", sein Anmahnen von Solidarität und Gerechtigkeit haben ihn auf seine alten Tage in der politischen Farbenskala der Republik dorthin rücken lassen, wo auch ehemalige Widersacher wie Geißler und Blüm gelandet sind: irgendwo links. Dabei galt er stets als ausgeprägt konservativer Sozialdemokrat - bei seinen Anhängern in der Variante des praxisorientierten Machers, bei seinen Gegnern in der Version des kühlen Technokraten. Die unaufgeregte Professionalität, mit der er sein Amt ausübte, brachte ihm ein Maß an parteiübergreifendem Respekt, wie es heute schwerlich denkbar ist. Das - von anderen mehr als von ihm gepflegte - Image des Machers sorgte freilich auch dafür, dass die politische Liebe der Deutschen weniger Schmidt gehörte als, je nach Lager, dem volkstümlichen Konrad Adenauer oder dem charismatischen Willy Brandt. Zudem hatte Adenauer den Wiederaufbau, Brandt die Aussöhnung mit dem Osten als historischen Markierungspunkt in seiner Amtszeit, was beiden bei der ZDF-Wahl der "größten Deutschen" Spitzenplatzierungen einbrachte, während Schmidt die ersten 20 Plätze verfehlte. Das dürfte ihn weniger geschmerzt haben als der Umstand, dass der nächste geschichtliche Markstein mit der deutschen Einheit in die Amtszeit eines Nachfolgers fiel, der hinter Schmidts Ansprüchen an Stil und Intellekt deutlich zurückblieb. So wird der Name Schmidt in der Geschichte in erster Linie mit kompetentem Krisenmanagement verbunden bleiben. Von der Hamburger Flutkatastrophe, die der junge Innenminister meisterte, über die Ölkrise bis zum RAF-Terror konnte Schmidt ein Höchstmaß an Vertrauen in seine Regierungskunst erwerben.Unfreiwilliger Gründervater der Grünen

Freilich bereitete seine Härte im "deuschen Herbst" 1977, sein Eintreten für Atomenergie und die Nato-Nachrüstung auch den Boden, auf dem eine Öko- und Friedensbewegung wuchs, die die SPD nach Schmidts Abgang nicht mehr in den Griff bekam. Der gelernte Volkswirt aus Hamburg darf heute letztlich als Gründervater der Grünen gelten. Sein Verhältnis zur SPD blieb bis heute ein distanziertes. Er ließ sich nach dem Kanzler-Sturz, den er lange als Ergebnis des Verrates der FDP begriff, nicht für die Partei vereinnahmen, sondern betätigte sich mehr und mehr als profilierter Publizist. Auch da blieb die sachlich-kühle Analyse eher seine Domäne als die Polemik. Das war nicht immer so. "Schmidt-Schnauze" nannte man den Hamburger Bundestagsabgeordneten in seinen ersten Parlamentsjahren, als er der damaligen CDU-Regierung Saures gab. Eine Spur hanseatischer Arroganz ließ sich nicht übersehen, auch später nicht, als er die Attitüde des bissigen jungen Mannes gegen die Würde des Regierenden eingetauscht hatte. Imagefördernde Kompromisse mit der Öffentlichkeit machte er selten - auch das ein drastischer Unterschied zu seinen Nachfolgern. Dass man ihn 1982 bei einem Bach-Klavierkonzert mit Justus Frantz und Christoph Eschenbach beobachten konnte, war ungewöhnlich - wobei er nicht etwa Zuschauer war, sondern Mitspieler. Er ließ sich nicht verbiegen, weder von Freunden noch von Gegnern. Was sich nicht allein, aber auch daran zeigt, dass er bei seinen - inzwischen selten gewordenen - Fernseh-Auftritten bis heute unter erfrischender Ignorierung jeglicher "political correctness" eine Zigarette nach der anderen zu qualmen pflegt.

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