Engel, die nach Honig riechen

TRIER. Den meisten von uns begegnen sie in der Weihnachtsgeschichte und als Christbaumschmuck, als Anhänger am Halskettchen und Statue in der Kirche – oder in der Werbung für Automobilklubs und Versicherungen. Doch immer mehr Menschen behaupten, direkte Beziehungen mit Engeln zu unterhalten.

"Ich habe regelmäßig Kontakt mit meinem Engel", schreibt "Artemis" in einem Engel-Forum im Internet. "Ich kann mit ihm sprechen oder diskutieren, wann immer ich will." "Anha Varanha" berichtet: "Irgendwann meldeten sich die Engel von alleine. Inzwischen kenne ich drei und auch deren Namen. Ich kann ihre Energien zu mir bitten." Sabine wird konkreter: "Eines nachts sah ich hellblau umrandete Engelflügel, die durchs Zimmer flogen." "Die Engel sind aus der Kirche ausgetreten"

32 Prozent der Westdeutschen glauben einer Allensbach-Umfrage zufolge, dass es Engel gibt, jeder fünfte davon berichtet von einer persönlichen Begegnung. Besonders stark ist dieser Glaube bei Frauen ausgeprägt: Zehn Prozent geben an, schon einmal einen Engel getroffen zu haben. Anderen Statistiken zufolge glauben 48 Prozent der Deutschen an einen persönlichen Schutzengel. In den Buchhandlungen biegen sich Regalbretter unter Engel-Literatur, in Seminaren wollen Menschen die Kontaktaufnahme lernen, und mit Engel-Essenzen versuchen sie, die himmlischen Wesen anzulocken - in der Hoffnung auf Schutz, Hilfe, Energie oder die Verbindung zu Verstorbenen. Eine Rückkehr zu alter Frömmigkeit? Mitnichten. Der Engel-Boom habe eingesetzt, "seitdem die Engel aus der Kirche ausgetreten sind", schreibt der Journalist Rolf Cantzen. Will heißen: Der esoterische Engel hat mit dem christlichen wenig zu tun. Für Christen stünden Engel immer im Zusammenhang mit einem persönlichen Gott, ihrem Schöpfer, sagt der katholische Sektenberater Joachim Müller. Viele ihrer Verehrer sehen sie dagegen außerhalb jeder verfassten Religion. Engel lassen viel Raum für Fantasie und bieten die Möglichkeit, individuelle Vorstellungen in sie hinein zu projizieren. Umfragen zufolge glauben mittlerweile mehr Menschen an Engel als an Gott. Den großen Kirchen kann das nicht Recht sein. Vor allem Protestanten kritisieren den Rummel um die Engel scharf. Die römisch-katholische Kirche steht einem Glauben an Engel zwar prinzipiell positiv gegenüber - so ist beispielsweise die Homepage des Vatikans nach dem biblischen Erzengel der Verkündigung, "Gabriel", benannt, und die Firewall zum Schutz vor Viren heißt wie der Wächter-Engel "Michael". Doch angesichts von Engel-Diäten, angeblich heilenden Engel-Kartenspielen und Berichten von persönlichen Beziehungen zu Engeln runzeln auch katholische Theologen die Stirn. "Engel sind wie Symbole oder Bilder, die von der Nähe Gottes sprechen", sagt der Freiburger Theologie-Professor Hermann-Josef Venetz. Man könne jemanden als Engel bezeichnen, wenn sich in ihm "etwas von der gütigen Nähe Gottes" mitteile, ohne ihn gleich mit Flügeln versehen zu müssen. "Wenn wir diese Ebene verlassen, klingen verschiedene Fragen, die wir über Engel stellen, recht seltsam." Wer die Liste der Fragen durchforstet, über die Engelsgläubige im Internet diskutieren, braucht in der Tat - sagen wir - ein gewaltiges Einfühlungsvermögen, um zu einer anderen Einschätzung als der katholische Theologe zu gelangen. "Wie kann ich mit meinem Schutzengel reden?" heißt es dort. "Wie viele Schutzengel habt ihr?"- "Kann man seinen Schutzengel verlieren?" - "Engel sind doch geschlechtslos, oder?" - "Ist es bei vegetarischer Ernährung leichter, mit Engeln zu kommunizieren?" Und schließlich: "Gibt es Engel, die nach Honig riechen?"

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