Enormes Potenzial - und ebensolche Risiken

TRIER. Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Die grüne Gentechnik, die mit dem Beschluss des diese Woche vorgelegten Gesetz-Entwurfs in Deutschland Einzug halten wird, verunsichert viele Verbraucher. Der TV beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was genau steht im Entwurf des Gentechnik-Gesetzes? Die wichtigsten Punkte sind die Wahlfreiheit von Verbrauchern und Bauern sowie die Koexistenz von konventionellem und Gen-verändertem Anbau. Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) geht es darum, das Überleben einer von Gentechnik freien Landwirtschaft zu sichern. Ihre sozialdemokratischen Kollegen Wolfgang Clement (Wirtschaft) und Edelgard Bulmahn (Forschung) haben allerdings durchgesetzt, dass die Förderung der Gentechnik offizielles Ziel ist. Das Gesetz setzt eine EU-Richtlinie um.Worüber gibt es Streit? Der Gesetz-Entwurf lässt entscheidende Fragen offen - zum Beispiel, wie genau konventionelle Felder vor der Verunreinigung durch Gen-Pflanzen geschützt werden sollen. Die Rede ist von Hecken, die den Pollen am Fliegen hindern sollen, und von Sicherheitsabständen zwischen den Feldern. Wie das aussehen soll, ist jedoch unklar - ebenso wie die Antwort auf die Frage, wie kontrolliert werden kann, ob Gen-Bauern die Vorschriften einhalten. Heftigen Streit gibt‘s auch in der Haftungsfrage. Gen-Bauern sollen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Pflanzen Schaden anrichten - ein unkalkulierbares Risiko, wie nicht nur der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Bitburg-Prüm, Michael Horper, findet. Er rät seinen Kollegen dringend davon ab, unter diesen Umständen Gen-Pflanzen anzubauen. Weiterer Kritikpunkt: Die Landwirte sollen zur Rechenschaft gezogen werden - die Industrie, die die Einführung der grünen Gentechnik in der EU unbedingt will, nicht.Was versprechen sich Befürworter von der grünen Gentechnik? "Die Bauern werden immer häufiger transgene Pflanzen anbauen, da sie beachtliche agronomische, ökonomische, ökologische und soziale Vorteile haben", sagt der Gründer der internationale Biotechnik-Agentur ISAAA, Clive James. Einige Beispiele: Pflanzen können gegen Schädlinge resistent gemacht oder mit Mineralien und Vitaminen angereichert werden. Effekt: Bauern brauchen weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger. Immer wieder heißt es auch, dass per grüner Gentechnik der Hunger in der Welt besser eingedämmt werden könnte. Zudem steckt in dieser Technologie ein großes Potenzial für Forschung und Wirtschaft: James zufolge wird sich das Marktvolumen von derzeit 4,5 Milliarden US-Dollar bis 2005 auf fünf Milliarden erhöhen. Ein Stück von diesem Kuchen muss auch Europa abbekommen, argumentieren die Befürworter und verweisen darauf, dass die bisherige "Blockade" der EU zu einer Abwanderung der Forschung nach Nordamerika geführt habe.Weshalb sperren sich unter anderem Verbraucherschützer und Umweltverbände? Die Gefahren der grünen Gentechnik sind größer als die erhofften Vorteile, warnen die Gegner. Ein Ausschnitt aus der Liste ihrer Argumente: Da diese Technologie sehr jung sei, könne man die Langzeit-Folgen überhaupt nicht absehen. Denkbar sei zum Beispiel, dass neue Allergien gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) entstünden. Zudem haben die Gegner Angst vor einem Rückgang der Artenvielfalt. Sie verweisen auf Untersuchungen in Großbritannien, wo der Anbau von genmanipulierten Zuckerrüben und von Raps tatsächlich andere Pflanzen zurückdrängte. Weiterer Punkt: Die Ausbreitung von Gen-Pflanzen könne nicht mehr gestoppt werden, wenn der Anbau einmal begonnen habe. Pollen könnten Kilometer weit fliegen. Auch die Chefin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Edda Müller, warnt: "Wir müssen von einer stetig stattfindenden Verunreinigung ihrer Nahrungsmittel mit Gentechnik ausgehen."Was kommt auf die Verbraucher zu? Viele Produkte enthalten schon jetzt Gen-manipulierte Zutaten: Eis zum Beispiel, Schokolade oder Backwaren. Hier gibt es von April an eine augenfällige Veränderung: "Dieses Produkt enthält genetisch veränderte Organismen (GVO)", wird es dann auf den Etiketten sämtlicher Lebensmittel mit mehr als 0,9 Prozent GVO-Anteil heißen. Doch auch in Zukunft wird der Verbraucher nur eingeschränkt erfahren, ob er Gen-Lebensmittel verzehrt. Die entsprechende Bestimmung der EU ist nach Ansicht von Verbraucherschützern nämlich Stückwerk: Fleisch und Milch etwa von Tieren, die mit Gen-Futter ernährt wurden, fallen ebenso wenig unter die Kennzeichnungspflicht wie Gastronomie und Gemeinschaftsküchen. Laut Verbraucherzentrale werden in Deutschland aber 40 Prozent der Lebensmittel außer Haus verzehrt. Greenpeace hat einen kostenlosen Einkaufsratgeber "Essen ohne Gentechnik" herausgegeben. Infos dazu gibt‘s im Internet unter www.greenpeace.de/einkaufsnetz.Wie verbreitet ist die grüne Gen-Technik heute? 2003 wurden weltweit auf einer Ackerfläche von 67,7 Millionen Hektar Gen-Pflanzen angebaut. Nach Angaben der internationalen Biotechnik-Agentur ISAAA ist das gegenüber 2002 eine Zunahme von 15 Prozent. Damit verzeichne man im siebten Jahr in Folge zweistellige Zuwachsraten. In Europa verfügt nur Spanien mit 32 000 Hektar über eine nennenswerte Anbaufläche. Deutschland meldet kleine Versuchsfelder. Die führenden Anbauländer sind die Vereinigten Staaten, Argentinien, Kanada und China. Bemerkenswert: Nach ISAAA-Angaben verfügten die Entwicklungsländer 2003 über ein Drittel der Anbaufläche, während es 2002 noch ein Viertel war. Der Anbau liege dort meist in der Hand von Kleinbauern. Spitzenreiter bei den Gen-Pflanzen ist die Sojabohne: Mehr als jede zweite weltweit ist derzeit bereits gentechnisch verändert und damit resistent gegen Pilze.

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