Entdeckung des Sozialen

Berlin. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen: Aus Rückenwind wird irgendwann Gegenwind. Das ist auch in der Politik ein Gesetz. Den Strategen der FDP ist klar: Die guten Umfragewerte von bis zu 14 Prozent und der Mitgliederzuwachs decken vieles zu. Die Bewährungsprobe steht der Partei noch bevor.

Geht es bergab, sagt eine Liberale, werde sich zeigen, ob die FDP in einen alten Mechanismus verfällt - ob sie sich und ihr Personal wie so oft in der Vergangenheit selbst zerfleischt. Oder ob sie nach einem erfolgreichen Jahr 2006 einmal Ruhe bewahren und politisch geschickt gegen den Abschwung steuern kann. Dem Dreikönigstreffen am Wochenende in Stuttgart kommt dabei große Bedeutung zu. Für Parteichef Guido Westerwelle ist die traditionsreiche Veranstaltung der Auftakt in ein Jahr, in dem er einer möglichen Talfahrt vorbeugen will - 2007 muss er seine Partei demoskopisch weiter stabilisieren, wenn möglich sogar die Anhängerschaft verbreitern. Denn 2008 folgen wichtige Landtagswahlen, die der FDP den Weg zur Bundestagswahl 2009 weisen sollen. Die Streitereien der großen Koalition haben bislang für einen ungeahnten Aufschwung der ehemaligen Spaßpartei gesorgt. Jetzt gilt es, zu konservieren, neue Signale zu setzen und am eigenen Image zu polieren. Westerwelles Botschaft aus Stuttgart soll daher sein: Die FDP muss sozialer werden. Die Wiederentdeckung des Sozialen schreitet voran. In der CDU durch den Hartz-Reformer Jürgen Rüttgers, in der SPD durch den Unterschichten-Experten Kurt Beck. Vorstoß in die breite Mitte

"Das Schicksal der breiten Mitte" ist es, was Westerwelle umtreibt. Von jenen, "die in der Mitte das Land machen", wie er sagt. Sozial ist also, was die Leistungsträger stärkt - alte Parteilogik im neuen Gewand. Hinter der geänderten Rhetorik verbirgt sich einfaches Kalkül: Westerwelle zielt auf diejenigen ab, die einst als "Neue Mitte" von den Volksparteien umgarnt wurden, die sich nun aber im großkoalitionären Einerlei heimatlos fühlen. "Sehr grundsätzlich", soll die Rede des Parteichefs deshalb werden. Damit verbindet sich aber auch eine inhaltliche Offenbarung: Im Bundestag läuft die FDP als stärkste Oppositionsfraktion wie der Hamster im Rad, schnell, jedoch ohne Nutzen. Die große Koalition hat zudem auf liberalem Terrain längst Fakten geschaffen: Bürokratieabbau - angepackt; Flexibilisierung des Arbeitsmarktes - begonnen; Steuersenkungen für Unternehmen - auf den Weg gebracht. Selbst die Mehrwertsteuererhöhung taugt nicht mehr zum Aufreger. Statt dessen sprudeln die Einnahmen, die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt, und bei der Gesundheitsreform richten sich die Blicke lieber auf die koalitionäre Keilerei denn auf die liberale Alternative. Der FDP wird allmählich der inhaltliche Boden entzogen. Zeit, das Spektrum zu erweitern und am Profil zu feilen: Die Entdeckung des Sozialen ist die versuchte Abkehr vom Klientelhaften der FDP, der Vorstoß in die Mitte.

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