Entsetzen bei der SPD, Jubel bei der Union

BERLIN. In den BerlinerParteizentralen warteten die Polit-Größen auf die Ergebnisse der Europa-, Landes- und Kommunalwahlen: Pünktlich um 18 Uhr war klar, wer jubeln kann und wer abgestraft wurde.

"Zukunftsgerecht" stand in großen Lettern an der Stirnseite des Saals im Berliner Willy-Brandt-Haus geschrieben. Angesichts der jüngsten Wahlergebnisse muss der SPD für die Zukunft jedoch angst und bange werden. Als sich Punkt 18 Uhr via Fernsehen die ersten Prognose-Säulen nach oben schraubten, herrschte bei vielen Genossen und Sympathisanten stilles Entsetzen. Mit rund 22 Prozent hatte die Partei ihr dürftiges Resultat von 1999 (30,7 Prozent) nochmals um Längen unterboten. "Friedensmacht"-Kampagne abgelutscht

Ungläubiges Stöhnen entfuhreinigen Juso-Mitgliedern dann beim Schaubild zur Thüringen- Wahl - dort war die SPD schon seit dem letzten Votum vor fünf Jahren nur dritte Kraft. Ein Resultat, dass jetzt auf desaströse Weise zementiert wurde. Nicht einmal 15 Prozent hatten die Thüringer den Sozialdemokraten zugebilligt. Europa oder Thüringen - was wiegt schlimmer? "Das nimmt sich nicht viel", meinte der Berliner Jungsozialist Fabian Weißbarth zerknirscht. Woran es lag? Die "Friedensmacht"-Kampagne seiner Partei sei zu "abgelutscht" gewesen. Und der Slogan "Neue Stärke" hätte die Wähler eher an die CDU erinnert als an die SPD. Ein paar Schritte weiter analysierte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Walter Kolbow, die katastrophale Gefechtslage: "Das war eine Europawahl mit klarem innenpolitischen Bezug". Diese These lässt sich mit Zahlen belegen. 58 Prozent der Bundesbürger, so fanden Wahlforscher heraus, betrachteten das Europa-Votum als Denkzettel für Rot-Grün. In Thüringen waren es sogar 60 Prozent. Dass es so knüppeldick kommen würde, hätte aber auch Kolbow nicht gedacht: "Die Partei hatte sich gerade gefangen. Das ist nun ein herber Rückschlag". Vom "Münte-Effekt" also keine Spur. Während der Parteivorsitzende Franz Müntefering ineinem Nebenraum noch ein Krisentelefonat nach dem anderen führte, ging Generalsekretär Klaus Uwe Benneter vor die Mikrofone, um die "klare Niederlage" einzugestehen. Der übliche Dank an die Wahlkämpfer vor Ort wurde mit trotzigem Beifall bedacht. Diese Art Begeisterung hatte Benneter scheinbar nicht so erwartet. Angespannt schaute er immer wieder auf seine Notizen. Dort fehlte es nicht am Prinzip Hoffnung: Bei der Europa-Wahl würden alle Regierungen abgestraft. Außerdem sei es "unverantwortlich", die Politik an Wahlterminen auszurichten. "Wenn unsere Reformen Erfolg haben, dann werden auch die Wahlerfolge zurückkehren." Im Berliner Konrad-Adenauer-Haus war die Begeisterung über das eigene Abschneiden schier grenzenlos. Zwar ging der Stimmenanteil bei beiden Wahlen zurück. Doch die CDU lag immer noch bei jeweils rund 45 Prozent, was einen haushohen Vorsprung gegenüber allen anderen Parteien bedeutete. Auch die politischen Farbenspiele in Thüringen erwiesen sich im Laufe des Abends als Luftnummer, nachdem die Grünen schließlich doch überraschend vor der Fünf-Prozent-Hürde kapitulieren mussten. "Das ist ein toller Tag für die CDU und Deutschland", strahlte CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer - damit meinte er die Europa-Wahl. Mit besonderer Schadenfreude wurden Meyers Einschätzungen über die Sozialdemokraten quittiert. "Die SPD ist auf einem noch nie da gewesen Tiefpunkt." Parteichefin Angela Merkel, die von ihren Anhängern frenetisch gefeiert wurde, brachte es auf die schlichte Formel, dass die Bundesregierung jedes Vertrauen verloren habe. In den Parteizentralen von FDP und Grünen fielen die Reaktionen gemischt aus. Die Liberalen waren froh, nach zehn Jahren Abstinenz wieder im Europa-Parlament mitmischen zu dürfen. Damit ließ sich auch die neuerliche Abstrafung in Thüringen leidlich verkraften. Die Grünen hatten an ihrer Niederlage im Freistaat deutlich mehr zu beißen. Auch die satten Zugewinne bei der Europa-Wahl konnten daran nichts ändern. Bleibt noch die PDS, die gestern zum eigentlichen Wahlsieger avancierte: in Thüringen deutlich dazu gewonnen und in Europa die gefürchtete Fünf-Prozent-Hürde bewältigt. Für die PDS-Strategen ist damit eine wichtige Etappe für den Wiedereinzug in den Bundestag 2006 bewältigt.

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