Entwarnung für den Seniorenteller

BERLIN. Künftig sollen die Bürger bei der Arbeit und im Privatbereich nicht mehr aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung sowie des Alters und der sexuellen Identität benachteiligt werden. Eine entsprechende Gesetzesvorlage der Bundesregierung sorgt für Streit.

"Seniorenteller und Frauensauna, das wird alles noch möglich sein", wehrte gestern im Bundestag bei der hitzigen Debatte um das Antidiskriminierungsgesetz die grüne Abgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk ab. Damenfriseure müssen künftig also nicht auch Herren die Haare schneiden, und Jugendtarife in Kinos bleiben ebenso erhalten wie Frauenparkplätze. Denn bestimmte "geschlechtsspezifische Differenzierungen" oder Vergünstigungen für junge und ältere Kunden will die Koalition mit ihrem Vorhaben nicht aushebeln. Dafür aber nach Ansicht der Opposition "die Vertragsfreiheit in diesem Land", wie der Rechtsexperte der Union, Norbert Röttgen, schimpfte. Der Bundestag führte am Freitag eine verwirrende Diskussion. Das ist wohl auch genau das Problem des neuen Antidiskriminierungsgesetzes, das die Koalition zu ersten Lesung ins Parlament einbrachte: Seit es auf der Agenda steht, gehen Befürchtungen, Ängste und Bedenken durcheinander wie Kraut und Rüben. Und die Politik hat seither das Problem, klar zu vermitteln, was eigentlich womit verhindert werden soll (Rot-Grün) und weshalb die Regelungen eventuell zu bürokratisch und vor allem zu praxisfern sind (Opposition). Die Regierungskoalition sieht in dem Paragraphenwerk einen "ausgewogenen Kompromiss" und "ein wichtiges gesellschaftliches Signal", wie Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck sagte. An eine Bevormundung des Einzelnen durch den Staat glaubte hingegen die Union. Rot-Grün setzt mit dem Antidiskriminierungs-Gesetz EU-Richtlinien um, die allerdings zum Teil geringere Standards verlangen. Wer zum Beispiel Ausländer als Mieter ablehnt, obwohl freier Wohnraum vorhanden ist, kann auf Schadenersatz oder Schmerzensgeld verklagt werden. Wenn Frauen höhere Tarife bei Versicherungen zahlen müssen oder ausländisch aussehende Männer nicht in eine Disko kommen, dann sind das nach dem neuen Gesetz Diskriminierungen. Für Arbeitgeber wird es schwieriger, Frauen prinzipiell niedriger als Männer zu entlohnen und Älteren einen Job zu verweigern. Die Frage, wo eigentlich Diskriminierung beginnt und die notwendigen Grenzen verlaufen, bleibt jedoch ziemlich im Dunkeln. Während Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände für das Gesetz sind, lehnt es die Wirtschaft ab. Die Gegner befürchten eine gigantische Prozesslawine, die über die ohnehin überlasteten Gerichte hinweg rollen könnte. Rot-Grün hofft dagegen auf den präventiven Charakter der Regelungen. Wer sich allerdings für den Gang zum Gericht entscheidet, hat keine Erfolgsgarantie. Jeder Richter hat einen erheblichen Ermessungsspielraum. Zudem findet das Gesetz seine juristischen Grenzen in der Nachweisbarkeit der Benachteiligung - was in vielen Fällen überaus schwierig sein dürfte.

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