"Er machte die Augen zu und war einfach weg"

LAMPADEN. Caecilia Laaß, geboren 1923, hat viel erlebt. Als Krankenschwester im Zweiten Weltkrieg ertrug sie das Grauen in Stalingrad, eröffnete später den Gemeindekindergarten in Veldenz und baute die Beschützende Werkstatt in Trier auf. Im TV erzählt sie aus ihrem Leben.

Der Vater von Caecilia Laaß war Schuhmacher in Veldenz, einem Dorf in der Nähe von Bernkastel-Kues mit damals 500 Einwohnern. Und er war ein politischer Querdenker, ein Mann, der während des Krieges "Feindsender" hörte. "Wenn in seiner Werkstatt über Politik geredet wurde, sagte er, was er dachte. Von Hitler hielt er gar nichts. Und wo er helfen konnte, half er." Er schusterte für polnische Fremdarbeiter: "Ohne Entgelt. Die hatten ja nichts." Caecilia Laaß, Jahrgang 1923, macht nach der Volksschule eine Ausbildung zur Kindergärtnerin. Und meldet sich später freiwillig zur Krankenschwesterausbildung: "Kaum hatte ich das Examen bestanden, saß ich mit 90 frisch ausgebildeten Rot-Kreuz-Schwestern im Zug Richtung Stalingrad."Zehntausende Verwundete

Im Winter 1942/1943 hatten russische Verbände die 6. Armee in Stalingrad eingekesselt. Hitler befahl, die "Festung Stalingrad" zu halten. Am 31. Januar 1943 kapitulierten die deutschen Truppen. Man schätzt, dass mehr als eine Million Menschen bei den Kämpfen starben. Soldaten und Zivilisten. Zehntausende Verwundete lagen praktisch ohne Versorgung in den Kellern der Ruinenstadt. Typhus, Ruhr, Cholera und Gelbsucht breiteten sich aus. Und in diese Hölle war die Rot-Kreuz-Schwester Caecilia Laaß, damals 19, unterwegs. Ihr Alltag im Lazarett in Artemowsk bei Stalingrad ist ein Alltag des Elends, des Grauens und des Todes. Caecilia Laaß ist Mitglied der 6. Armee. Ihre Krankenschwester-Einheit hat die Nummer 4533. Sie erinnert sich an den ersten Schwerverletzten, den sie "auf dem Weg hinüber begleitete. Der Arzt sagte: Der Mann wird sterben. Bleiben Sie bei ihm. Er war jung, vielleicht Anfang zwanzig. Er erzählte mir von seiner Braut. Und danach machte er die Augen zu und war einfach weg." Wenig später musste sie dann als OP-Schwester Dienst tun. Jeden Tag Operationen und Amputationen wie am Fließband. Sie hört, dass ihr seit längerem vermisster Bruder Josef in einem anderen Lazarett liegt. Sie überzeugt einen Arzt, dass sie ein paar Tage Sonderurlaub braucht. Und sie findet ihren Bruder tatsächlich: "Er hatte Gelbsucht. Wir weinten beide. Ich ging zum Oberarzt und bettelte: Von meinen sechs Brüdern sind fünf Frontsoldaten. Können Sie meinen Bruder nicht nach Hause entlassen? Der Arzt entließ ihn, rettete ihm damit das Leben." Die Front kam immer näher: "Niemand hatte uns gesagt, dass wir uns in einem Kessel befanden. Die Soldaten sagten: Unsere Schwestern holen wir hier raus. SS-Leute kämpften für kurze Zeit eine Straße frei, durch die wir entkommen konnten." Unterwegs lernt Caecilia einen Infanterie-Unteroffizier kennen. Sie tauschen die Feldpostnummern aus. Und als sie in Veldenz auf Urlaub ist, klingelt das Telefon in einer Gastwirtschaft. Und eine Männerstimme fragt: "Ist Schwester Caecila da?" Sie erzählt: "Mein Vater hatte Hans, der später mein Mann wurde, die Telefon-Nummer gegeben. Hans rief aus Metz an, wo er inzwischen stationiert war. Wir verlobten uns und heirateten 1944." Die Rot-Kreuz-Schwester Caecilia wurde wieder nach Russland geschickt, dieses Mal in die Ukraine. "Ich war oft mit meinen Kräften am Ende", erzählt sie nur zögerlich. Drei Mal brach sie zusammen: "Ich war erschöpft, hatte hohes Fieber, konnte kein Tageslicht mehr ertragen. Ich konnte nicht mehr lachen, nicht mehr weinen, nicht mehr beten."Schwanger nach dem Heimaturlaub

Im Oktober 1944, nach einem Heimaturlaub, wird sie schwanger. Sohn Joachim wird 1945 geboren. Ihr Mann Hans kommt nach Veldenz, absolviert eine Lehre als Maler- und Anstreicher und macht sich selbstständig. Sie eröffnet den Gemeindekindergarten. Ihr Mann kommt zur Verkehrspolizei. 17 Jahre lang reguliert er den Verkehr in Trier auf der Römerbrücke und wird als "freundlichster Schutzmann" ausgezeichnet. Der zweite Sohn Georg wird geboren. 1957 kommt Helene zur Welt. Als die Tochter zwölf wird, startet die Mutter beruflich noch mal durch, baut die Beschützende Werkstatt in Trier auf, kümmert sich um 60 Behinderte. 1973, als Fünfzigjährige, legt sie das Staatsexamen als Sozialhelferin ab und wird Leiterin im Altenheim in Lampaden. 1985 wird sie pensioniert. 1999 stirbt ihr Mann. Seitdem lässt Caecilia Laaß es ein wenig ruhiger angehen. Doch sie lässt die Tage nicht im Lehnstuhl verstreichen. Vor kurzem noch lernte sie Noten lesen und übte auf einer Klarinette. Fragt man sie nach einem Fazit ihres Lebens, sagt sie: "Ich habe viel erlebt. Ich habe die Angst vor dem Leben und vor dem Sterben verloren. Aber ich freue mich über jeden Tag."

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