Erleidet die Nord-SPD Schiffbruch?

Kiel · Knisternde Spannung in Schleswig-Holstein. Der Ausgang der Landtagswahl am kommenden Sonntag ist höchst ungewiss. SPD-Amtsinhaber Albig und CDU-Herausforderer Günther kämpfen um das Amt des Ministerpräsidenten.

Kiel (dpa) Schafft es SPD-Regierungschef Torsten Albig ans rettende Ufer? Oder gelingt der CDU mit Herausforderer Daniel Günther ein vor kurzem kaum denkbarer Coup? Kurz vor der Wahl in Schleswig-Holstein am Sonntag wagt an der Förde niemand eine klare Prognose. Albig (53) und CDU-Spitzenkandidat Günther (43) geben sich zuversichtlich, aber der Wahlausgang erscheint angesichts der begrenzten Aussagekraft der Umfragen sehr ungewiss. Knapp wie immer bei den jüngsten Wahlen dürfte es werden - auch, weil viele Wähler immer noch unentschlossen sind.
In Umfragen rangierte die CDU zuletzt mit 32 Prozent vor der SPD. Zuvor lag die SPD monatelang vorn, und eine Neuauflage der Koalition aus SPD, Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) erschien wahrscheinlich. Doch das bundesweite Verblassen des "Schulz-Effekts", der Euphorie um den Kanzlerkandidaten, macht sich im Norden bemerkbar. Kurz vor der wichtigen Wahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai wachsen bei den Genossen die Sorgen. Es geht bei beiden Abstimmungen schließlich auch um die Ausgangslage für die Bundestagswahl Ende September.
Im Norden häuften sich für die SPD zuletzt Negativeffekte. So gewann Albig aus Expertensicht nicht das Fernseh-Duell gegen Herausforderer Günther. Hinzu kamen ein verunglücktes Interview mit der Illustrierten Bunte über seine Ehepläne und die Trennung von seiner Frau sowie die Kritik von Parteichef Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel am Kieler Abschiebestopp für Afghanistan.
Zugleich bot ein gereift wirkender Günther im Fernseh-Duell Albig Paroli. Und er setzte im Wahlkampf konkrete Akzente bei Themen mit hohem Zustimmungspotenzial: Günther will flächendeckend weg vom Turbo-Abitur und verlangt größere Abstände zwischen neuen Windanlagen und Wohnhäusern. Außerdem möchte er die Grunderwerbsteuer senken und verspricht einen zügigen Weiterbau der A20.
Die SPD setzt vor allem das Signal "Weiter so", propagiert mehr Gerechtigkeit und sagt zu, mittelfristig Eltern von allen Kita-Kosten zu befreien. Für die Zeit nach der Wahl zeichnen sich diverse Koalitionsperspektiven ab:
SPD-GRÜNE-SSW Die Chance auf eine Neuauflage ist wohl gesunken. Die SPD müsste klar über 30 Prozent kommen, was die letzten Umfragen nicht hergaben. Die Grünen hoffen auf deutlich mehr als zehn Prozent; die Umfragen signalisierten um zwölf Prozent. Für den SSW, als Partei der dänischen und friesischen Minderheit von der Sperrklausel befreit, sind vier Prozent drin. Die Grünen mit Aushängeschild Robert Habeck trotzen offenbar dem Schwächeln der Bundespartei. Aber für sie fielen Wahlen schon öfter schlechter aus als Umfragen davor.
SPD-GRÜNE-LINKE, eventuell plus SSW: Theoretisch möglich, wenn es für Rot-Grün plus SSW nicht reicht und - vorausgesetzt - die Linke in den Landtag kommt. Aber eher unwahrscheinlich. Albig und SPD-Landeschef Ralf Stegner haben Rot-Rot-Grün nicht ausgeschlossen. Sie wollen aber die Linke aus dem Landtag heraushalten - was gelingen kann. Im Land spielt die Linke politisch kaum eine Rolle. Ihr Führungspersonal ist weithin unbekannt, ihre Regierungsfähigkeit wird von vielen angezweifelt. Wer mit ihr dennoch regieren wollte, hätte große Rechtfertigungsprobleme.
CDU-FDP-GRÜNE Von "Jamaika" träumen CDU-Spitzenkandidat Günther und FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki. Differenzen in der Verkehrs-, Energie-, Innen- und Rechtspolitik müssen kein Koalitionshindernis sein. Die Grünen um Habeck und die Spitzenkandidatin, Finanzministerin Monika Heinold, haben ein solches Bündnis trotz aller Bekenntnisse zur "Dänen-Ampel" nie ausgeschlossen. Es würde für die Grünen aber zur Zerreißprobe.
SPD-FDP-GRÜNE Die klassische "Ampel" könnte aufleuchten, wenn es für Rot-Grün plus SSW nicht reicht. SPD-Fraktionschef Stegner gilt der FDP nicht mehr als derart inakzeptables Schreckgespenst wie noch vor Jahren. Sein Verhältnis zum FDP-Kollegen Kubicki hat sich auf professioneller Ebene entspannt. Politisch wäre die "Ampel" wahrscheinlich möglich. Aber die FDP - in Umfragen bei neun Prozent - würde sich darauf wohl nur einlassen, wenn sie stärker wird als die Grünen. Kubicki meint, die FDP sei für die Regierungsbildung in jedem Fall gefragt. Dabei hält er "Jamaika" für wahrscheinlicher.
GROSSE KOALITION Sie wäre erst dann eine Option, käme kein Dreierbündnis zustande. Für die CDU könnte eine Koalition mit der SPD aber vielleicht die einzige Regierungschance werden. Schwarz-Rot wäre für die SPD das Letzte, sagt Stegner. Eine solche Koalition würde die SPD vor eine Zerreißprobe stellen. 2012 lag die CDU mit 30,8 : 30,4 Prozent knapp vorn.
In den Wahlkampfendspurt schalten sich noch die Chefs beider Bundesparteien ein: Kanzlerin Angela Merkel will morgen in Eckernförde und Norderstedt für die CDU punkten, Schulz heute unter anderem in Kiel und in Lübeck. Mit besonderer Spannung wird das Abschneiden der AfD verfolgt, die in den Umfragen zuletzt mit sechs Prozent schlechter dastand als in anderen Ländern. Nur: Die Rechtspopulisten übertreffen bei Wahlen häufig ihre Umfragewerte.

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