Ermittlungen im Mordfall Nemzow Boris - "Putin. Der Krieg"

Moskau · „Wir lassen uns nicht einschüchtern und den Mund verbieten“, meint Ilja Jaschin. Der 31-jährige Politiker war ein langjähriger Mitstreiter des russischen Oppositionellen Boris Nemzow, der im Februar in Kremlnähe hinterrücks erschossen wurde. Zweieinhalb Monate später sind die Ermittlungen an dem Mordfall festgefahren.

Die Spuren führen nach Tschetschenien. Russische Ermittler stoßen unterdessen bei der Suche nach den mutmaßlichen Hintermännern im Umfeld des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow auf Schwierigkeiten. Die Ermittlungen kommen nicht voran. Vermutlich, weil der Kreml über den getreuen Putin-Zögling in Grosny noch seine schützende Hand hält.

Nach dem Mord war in oppositionellen Kreisen auch vermutet worden, dass das Projekt "Putin.Der Krieg" ebenfalls einer der Gründe für den Anschlag gewesen sein könnte. Nemzow hatte Hinweise gesammelt, die eine militärische Beteiligung Russlands am Krieg in der Ostukraine belegen sollten. Teile der Daten waren nach Arbeit der Mordkommission in Nemzows Büro abhanden gekommen. Jaschin trug sie mithilfe von Freunden wieder zusammen.
Gestern wurde der Abschlussbericht in Moskau nun doch noch vorgelegt. Die Autoren wiesen unterdessen daraufhin, dass sich eine direkte Verbindung zum Mord nicht herstellen lasse.

Mit Sensationen wartet der Bericht nicht auf. Wichtigstes Ziel sei gewesen, Informationen zu systematisieren und der manipulierten russischen Öffentlichkeit eine andere und umfassendere Sicht auf den Ukrainekrieg zu vermitteln, sagte Jaschin.

Laut Bericht sind im vergangenen August 150 russische Soldaten bei einer Offensive der ukrainischen Armee in der Nähe von Ilowaisk gefallen. Die Verwandten der Wehrdienstleistenden erhielten als Entschädigung etwa 40 000 Euro. Sie mussten sich allerdings schriftlich verpflichten, die Todesumstände, darunter den Einsatz in der Ukraine, nicht öffentlich zu machen.

Auch bei der Winteroffensive im Februar in der Nähe der Ortschaft Debalzewo kamen 70 Soldaten ums Leben. 17 waren Fallschirmjäger aus der Stadt Iwanowo. Anwälte der Hinterbliebenen wandten sich an Nemzow, da ihnen die Entschädigungen vorenthalten werden sollten. Bevor die Fallschirmjäger "freiwillig" in den Krieg zogen, wurden sie gezwungen, "auf eigenen Wunsch" den Armeedienst zu quittieren. Sollten sie verwundet oder gar getötet werden, sicherten Offiziere ihnen zu, dass die Armee trotzdem ihren Verpflichtungen nachkäme. Das tat sie aber nicht. Stattdessen drohte man den Angehörigen mit der Fabrikation von willkürlichen Strafverfahren. In einem ähnlichen Fall war eine siebenfache Mutter zunächst inhaftiert und erst nach öffentlichen Protesten wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Betroffenen aus Iwanowo nahmen über Anwälte Kontakt zu Nemzow auf.

Nach dem Attentat verzichteten die Angehörigen auf alle Ansprüche: wenn schon Nemzow am Kreml umgebracht wird, was wird man erst mit uns anstellen, zitiert der Bericht einen Anwalt.

Die Todesfälle waren meist schon aus Medienberichten bekannt. Die Autoren überprüften jedoch noch einmal jeden einzelnen Fall.

Die finanziellen Belastungen durch den Krieg für Russland beziffert der Report für den Zeitraum von zehn Monaten mit 53 Milliarden Rubel, umgerechnet knapp einer Milliarde Euro. Davon entfielen 21 Milliarden Rubel auf die Unterhaltung der "Freiwilligen" und 25 Milliarden Rubel auf die Unterstützung der "Aufständischen" in den sogenannten Volksrepubliken. Sieben Milliarden Rubel wurden für Technik, Bedienung und Reparaturen aufgewandt. Die Versorgung der Flüchtlinge aus Donezk und Luhansk verschlang 80 Milliarden Rubel. Die Berechnungen stellte der frühere Vizechef der russischen Zentralbank Sergei Aleksaschenko an. Heute ist er Forschungsleiter für Makroökonomie an der renommierten Moskauer Hochschule für Ökonomie.

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