Erst alle dafür, dann alle dagegen

Berlin. Hartz IV und kein Ende: Unter dem Druck der Straßendemonstrationen will die SPD die Arbeitsmarktreform nun doch noch einmal reformieren.

Als ging es ihr nicht schon schlecht genug, lässt die SPD mitten im Sommerloch eine Debatte über die Hartz-Reformen zu, die ihre Wahlchancen im September (in Sachsen, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und im Saarland) abermals verringern dürfte. Zwar hat der Parteivorsitzende Franz Müntefering am Dienstag erstmals eingestanden, dass Korrekturen an Hartz IV wahrscheinlich sind, doch verläuft die Diskussion weiter chaotisch. Daran haben auch Union und FDP ein gerüttelt Maß Schuld. Bei den Ausbildungsversicherungen für Kinder könne er sich Änderungen vorstellen, sagte Müntefering. Zwar müsse der Staat dafür sorgen, dass Arbeitslose ihr vorhandenes Vermögen nicht auf Konten ihrer Kinder in Sicherheit brächten. Gleichzeitig dürfe man aber nicht die Zukunft von Kindern gefährden. Deshalb sollte die Ausbildungsversicherung bei der Gewährung von Arbeitslosengeld II nicht angerechnet werden.Da gibt es noch "Gestaltungsspielraum"

Ähnliche Forderungen waren zuvor von Mitgliedern der Fraktion und des Parteivorstandes erhoben worden. Der SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner verlangte darüberhinaus Änderungen bei der Anrechnung von Vermögen und Immobilien. Auch Fraktionsvize Ludwig Stiegler sah noch "Gestaltungsspielraum". Parteivorständler Niels Annen forderte zudem, die Zahlungslücke beim Arbeitslosengeld II im Januar 2005 zu schließen. Die geplante Regelung sei "keine anständige Politik". Diese Ansicht vertritt auch der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU). In der Berliner Zeitung sprach er von einem "sozialpolitischen Chaos". Mit dem möglichen Zusatzverdienst von einem Euro pro Stunde für Arbeitslose organisiere der Staat unlauteren Wettbewerb. Völlig verständnislos zeigte sich Blüm über das Vorhaben, "dass jemand, der sein Leben lang Beiträge gezahlt hat, schon nach kurzer Zeit zum Fürsorgeempfänger wird". Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, verteidigte zwar das Hartz-Gesetz, räumte aber ein, dass die Anrechnungsregelungen "für einige brutal" seien. Zugleich übte Schmidt scharfe Kritik am Verhalten des sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU), der eine Teilnahme an den Anti-Hartz-Demonstrationen nicht ausgeschlossen hatte. Angesichts der Tatsache, dass Milbradt (wie die anderen Unions-Ministerpräsidenten) dem Gesetz im Bundesrat zugestimmt hätte, sei diese Haltung "eine Perversion", sagte Schmidt vor Journalisten. Auch Schmidt deutete an, dass es zu Änderungen am Gesetz kommen könnte. Sollte Bundeskanzler Gerhard Schröder aber nicht vorher ein Machtwort sprechen, könnte sich die unerquickliche Debatte bis Ende August hinziehen. Dann kehrt Wirtschaftsminister Wolfgang Clement aus dem Urlaub zurück. Widersprüchlich präsentiert sich auch die Opposition. Obwohl Union und FDP die Hartz-Gesetze begrüßt haben und teilweise noch schärfere Bedingungen einführen wollten, distanzieren sich immer mehr Oppositionspolitiker von der Reform. Während die Kritik an Milbradts Verhalten durchgängig war, wandten sich Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus und Hessens Sozialministerin Silke Lautenschläger (beide CDU) gegen eine Verschiebung der Reform. Dies hatten zuvor FDP-Vize Rainer Brüderle und die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper verlangt. Gleichzeitig wies der CDU-Wirtschaftspolitiker Hartmut Schauerte Änderungsvorschläge mit der Begründung zurück, die Union habe Hartz IV "doch auch gewollt". Brüderle warf der Union in diesem Zusammenhang Populismus vor. Für das Chaos bei Hartz IV sei sie mitverantwortlich.

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