Erwachsen werden im Eiltempo

TRIER. Deutschlands Kinder werden immer größer, und sie geraten immer früher in die Pubertät. Eine Studie stellt die Prognose auf, dass im Jahr 2030 die Kinder bereits mit neun Jahren geschlechtsreif sein könnten. "Stimmt nicht", halten Trierer Mediziner dagegen.

Seit 1980 lassen das Bundesfamilienministerium und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung das Sexualverhalten von Jugendlichen in Deutschland erforschen. Anstoß dafür war die Zunahme der Schwangerschaften bei Teenagern in den siebziger Jahren. Insgesamt gaben 6000 repräsentativ ausgewählte Jugendliche und Eltern Auskunft über ihr Sexualleben. Ausgewertet wurden die Antworten von der Forschungsstelle für Sexualwissenschaft und Sexualpädagogik der Universität Koblenz-Landau sowie der Familienplanungsstelle der Uni München. Das Ergebnis: Seit 1980 setzt die Geschlechtsreife bei Teenies durchschnittlich um zwei Monate früher ein als beim vorangegangenen Jahrgang. Hält diese Entwicklung an, dann könnten im Jahr 2010 knapp Zehnjährige reif sein, so die Auswertung von Professor Norbert Kluge, Leiter der Forschungsstelle für Sexualwissenschaft und Sexualpädagogik der Universität Koblenz-Landau. 2030 könnten dann bereits Neunjährige potenzielle Mütter oder Väter sein - 1860 hatten Frauen ihre erste Regel erst mit 16,6, Jahren. Eine Prognose, die von Trierer Medizinern in Frage gestellt wird. "Das wurde einfach hochgerechnet", meint Kinderarzt Dr. Johannes Storto. Es gebe Fälle, in denen Mädchen bereits mit elf Jahren ihre erste Regel hätten, aber es hielte sich "alles im Rahmen". Durchschnittlich mit zwölf Jahren und neun Monaten haben deutsche Mädchen die erste Menstruation, so Professor Wolfgang Rauh, Leiter der kinder- und jugendmedizinischen Abteilung des Trierer Mutterhauses. "Es ist nicht automatisch anzunehmen, dass der Zeitpunkt weiter zurück geht", meint der Mediziner mit Blick auf Forschungsergebnisse in skandinavischen Ländern und Großbritannien, wo sich der Trend zur immer früheren körperlichen Entwicklung bereits abgeflacht habe. Die Folgen früher Geschlechtsreife schlagen sich dennoch in anderen Zahlen nieder. Im Trierer Ortsverband der Beratungsstelle Pro Familia ist der prozentuale Anteil der Beratungen Minderjähriger in der Schwangerenkonfliktberatung von nur einem Prozent im Jahr 2001 auf 7,3 Prozent in diesem Jahr gestiegen. Die Gründe dafür sind freilich mehrschichtig, erläutert Pro Familia-Sexualpädagoge Michael Charles. Die Teenagerschwangerschaften hätten leicht zugenommen. "Wichtig ist eine einfühlsame und altersgerechte Sexualerziehung, und zwar bevor die Veränderungen eintreten", meint Charles. Bescheid wissen über die körperlichen Vorgänge und das Benennen können der Sexualorgane diene auch einer Gewaltprävention. "Im Grunde kann man sich immer mit den Kindern darüber unterhalten, was in der Pubertät passiert", findet Charles. Mit gezielter Aufklärung solle dem Kind auch ein Stück Angst genommen werden. "Wichtig ist, dass Eltern und Kinder in Kontakt stehen", empfiehlt Charles. Bei Zweifeln im Alltag könne der Gang zur Beratungsstelle helfen, wo Fachleute Lehrern, Erziehern und Eltern sowohl mit Literatur, als auch mit Ratschlägen zur Seite stehen. Setzen erste Zeichen körperlicher Entwicklung wie die Schambehaarung bei Mädchen vor dem achten und bei Jungen vor dem neunten Lebensjahr ein, sollte man sich in kompetente ärztliche Hände begeben, rät Rauh.

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