Es gab keine Hinweise

Betroffenheit herrscht nach der Misshandlung eines acht Monate alten Babys auch beim zuständigen Jugendamt. Ein Amt, das erst von der Gefährdung des Kindes erfahren hat, als es schon zu spät war.

Bitburg. Kevin, Karsten, Lea-Sophie. Untrennbar mit diesen Namen verbunden ist tiefes Mitleid für diese misshandelten Kinder - und immer wieder die Frage: Hätte verhindert werden können, was geschah? Ein Gefühl und eine Frage, die heute auch die Menschen in der Region Trier und darüber hinaus beschäftigen. Denn seit gestern ist bekannt, dass im Eifelkreis ein acht Monate altes Baby so schwer misshandelt wurde, dass seine Überlebenschancen gegen Null gehen.

"Ich bin schockiert", sagt Landrat Joachim Streit, der damit vielen aus der Seele sprechen dürfte. Der Vorfall zeige, wie wichtig die Arbeit des Jugendamts sei. Ein Amt, das nun das Sorgerecht für das Kind hat und womöglich darüber entscheiden muss, ob die Maschinen, die es derzeit in einer Spezialklinik bei Bonn am Leben erhalten, abgeschaltet werden. "Das geht nicht spurlos an unseren Mitarbeitern vorüber", sagt Stephan Schmitz-Wenzel, Fachbereichsleiter bei der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm. So groß die Betroffenheit ist: Vorwürfe macht man sich beim Jugendamt nicht. Denn die Eltern, die im Verdacht stehen, ihr Kind misshandelt zu haben, seien Amerikaner, die noch nicht lange in der Eifel leben. Es habe vorher keinen Hinweis darauf gegeben, dass das Kind gefährdet sein könnte. Keine Anrufe von Nachbarn oder Ärzten. Nichts. "Wir können leider nicht über jeden Säugling wachen", sagt Schmitz-Wenzel.

Auch so ist das Jugendamt Bitburg-Prüm schon mehr als ausgelastet. Seit die traurigen Schicksale von Kevin & Co. die Schlagzeilen füllten, seit Deutschland heftig über Kinderschutz debattiert und die Gesetzgebung verschärft wurde, haben sich die Zahlen der gemeldeten Verdachtsfälle verdoppelt. Auch in der vermeintlich so beschaulichen Eifel. Rund 120 gehen im Jahr bei den sieben Mitarbeitern des Jugendamts ein. Die Hälfte davon ist begründet. Laut Stefan Urmes besteht in immerhin 40 Prozent der Fälle eine potenzielle Gefährdung, so dass das Jugendamt tätig wird. Zehn Prozent der Hinweise führen zu Kindern, die tatsächlich akut in Gefahr sind. Erreicht ein solcher Hinweis das Amt, lassen die Mitarbeiter laut Urmes alles stehen und liegen und fahren zu der Familie. Und zwar immer zu zweit, denn die Entscheidung, die es zu treffen gilt, ist eine schwierige: Was ist zu tun? Und wann? Vorwürfe, zu früh oder zu spät gehandelt zu haben, sind an der Tagesordnung.

"Am einfachsten sind die eindeutigen Fälle. Aber auch am schlimmsten", sagt Urmes. Mal ist die Misshandlung klar nachzuweisen. Mal sprechen verkotete Wohnungen, in denen sich der Müll bis unter die Decke stapelt, während die Kinder auf verschimmelten Matratzen schlafen, deutlich von gefährlicher Verwahrlosung. Oft ist es jedoch weit schwieriger. Diffuse Fälle nennt Urmes das. Ein blauer Fleck hier, ein blauer Fleck da. Da helfe es nur, sich vor Ort einen Eindruck zu verschaffen oder bei Ärzten, Schulen oder Kindergärten Informationen einzuholen.

33 gefährdete Kinder mussten im Eifelkreis 2009 aus ihren Familien genommen werden (2008: 24), und zehn Mal wurde Eltern das Sorgerecht entzogen (2008: 21). Zahlen, die zeigen: Selbst dort, wo die Dörfer idyllisch und die Arbeitslosenzahlen so gering sind wie fast nirgends sonst in Deutschland, ist die Welt alles andere als heil. "Wir stehen nicht besser da als andere auch", sagt Urmes. Und der Verdacht auf Kindesmisshandlung ist nur einer von vielen Gründen, die ihn und seine Kollegen zu Familien führen, die ohne Hilfe nicht klarkommen. Die Spitze des Eisbergs. Selten so brutal und offensichtlich, wie im Fall des Babys, dessen Leben nun an einer Maschine hängt.

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