"Es geht um Menschen"

Trier · "Wir können das schaffen", sagt der Trierer Bischof Stephan Ackermann im Hinblick auf die Zigtausenden Flüchtlinge, die nach Deutschland strömen. Allerdings nicht ohne die Hilfe der EU. Eine Gefahr für das Christentum sieht Ackermann nicht, sondern, im Gegenteil, sogar eine Chance.

Bischof Stephan Ackermann in der TV-Redaktion mit Chefredakteurin Isabell Funk. TV-Foto: Klaus Kimmling

Foto: klaus Kimmling (g_pol3 )

Trier. Zu Zigtausenden strömen Flüchtlinge Richtung Europa. Zu Tausenden warten sie vor den Grenzübergängen. Zu Hunderten schlafen sie in Hallen, die man ihnen notdürftig hergerichtet hat. "Bei den Massen stockt einem der Atem", sagt der Trierer Bischof Stephan Ackermann am Dienstag bei einem Besuch in der TV-Redaktion. Aber es gehe nicht um Zahlen. "Es geht um Menschen", betont der 52-Jährige, für den völlig außer Frage steht, dass wir "die aufnehmen, die bei uns Schutz suchen". Auch fällt es ihm trotz der großen Menge an Menschen schwer, einen Unterschied zu machen zwischen jenen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, und jenen, die in ihrer Heimat keine Perspektive sehen. "Wie viele Leute sind aus dem Bistum Trier nach Brasilien ausgewandert, weil sie hier keine Perspektive hatten?", fragt er.
Aber, "schaffen wir das?", will TV-Chefredakteurin Isabell Funk wissen. Eine Frage, an der sich Angela Merkel seit ihrem tausendfach zitierten "Wir schaffen das" messen lassen muss - oder wie Ackermann es ausdrückt: "Jetzt wird die arme Frau verhaftet." Dabei teilt der Geistliche die Ansicht der Bundeskanzlerin. "Wir können das schaffen", glaubt er. Aber: Deutschland könne das nicht alleine, sondern nur gemeinsam mit der EU. Dass es in der Europäischen Union bei der Flüchtlingsfrage spürbar an Solidarität mangelt, bezeichnet der gebürtige Eifeler als "unglaublich". Da müsse man "reden, werben und Druck machen". Der Bischof hält es auch für angebracht, Ländern, die sich aus der Verantwortung stehlen, Fördermittel zu streichen.
Wie aber wird es sich auswirken, dass so viele Muslime nach Deutschland kommen und Teil unserer Gesellschaft werden? Ist das eine Gefahr fürs Christentum? "Nein", lautet die deutliche Antwort. Allein proportional nicht und "auch nicht, wenn wir unser Christsein in gutem Selbstbewusstsein leben", sagt Ackermann. Im Gegenteil, der Bischof sieht sogar Chancen für das Christentum, wenn so viele Menschen ins Land kommen, für die der Glaube auch im Alltag eine große Rolle spielt.
Dialog erst am Anfang


"Wir sind herausgefordert zu schauen: Wo stehen wir?", sagt Bischof Ackermann. Allerdings sei der interkulturelle Dialog noch ganz am Anfang. Obwohl auch er Teil der Bemühungen des Bistums ist. 2000 Katholiken engagieren sich bistumsweit in der Flüchtlingshilfe. 50 Immobilien hat die Diözese für Flüchtlinge bereitgestellt, 40 weitere sind in der Prüfung. Und acht Millionen Euro will das Generalvikariat in den kommenden Jahren ausgeben, um 17 neue Stellen in der Flüchtlingshilfe zu schaffen. Insbesondere Ehrenamtskoordinatoren werden benötigt.
Doch auch diverse kirchliche Fördertöpfe sind betroffen - darunter die Beratung für Frauen in Konfliktsituationen. Viele weibliche Flüchtlinge erlebten Gewalt oder müssten die Route gar mit Sex bezahlen, sagt Ackermann. Auch die Jugendarbeit oder die Schwangerenberatung sei gefragt. Seine zentrale Aufgabe sieht das Bistum darin, sämtliche Angebote zu vernetzen.
Am 4. November lädt der Bischof zur 3. Flüchtlingskonferenz ins Trierer Robert-Schuman-Haus ein, die ein weiterer Schritt "in Richtung einer gemeinsamen Willkommens- und Integrationskultur" sein soll.Extra

Stephan Ackermann, 52 Jahre, kommt aus der Gegend von Mayen. Seit Mai 2009 ist er Bischof von Trier, seit Februar 2010 Missbrauchsbeauftragter. Der Vorsitzende der kirchlichen Friedensorganisation Justitia et Pax war gerade erst in New York und hat sich dort am Rande der UN-Generalversammlung für den interreligiösen Dialog eingesetzt. sey