"Es gibt keine korruptionsfreien Zonen in Europa"

Brüssel · Korruption verursacht in Europa einen Schaden von 120 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist fast so viel, wie Brüssel insgesamt im jährlichen EU-Etat zur Verfügung steht - vom Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit bis zur Entwicklungshilfe. Kein Wunder, dass EU-Innenkommissarin Cécilia Malmström gestern ziemlich düster dreinschaute, als sie den ersten Bericht zur Lage der Korruption in den EU-Ländern präsentierte.

Brüssel. "Korruption untergräbt das Vertrauen der Bürger in die demokratischen Institutionen und den Rechtsstaat, schädigt die europäische Wirtschaft und vermindert die dringend benötigten Steuereinnahmen", unterstrich Cécilia Malmström. Ihr Fazit: Es gibt keine korruptionsfreien Zonen in Europa. Und: Es muss etwas passieren. Denn der Preis des Nichthandelns ist zu hoch.
Auch in Deutschland sieht sie Handlungsbedarf. So soll die Bundesregierung dafür sorgen, dass Spitzenpolitiker künftig schwerer nahtlos in hochbezahlte Managerjobs der Privatwirtschaft wechseln können.
Brüssel heizt damit die deutsche Debatte um verpflichtende Wartezeiten an, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Sie entzündete sich an zwei prominenten Fällen: Als Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) überraschend seinen Ausstieg aus der Politik mitteilte, wurde bekannt, dass er in der Vorstand der Deutschen Bahn strebt. Zuvor sorgte der direkte Wechsel des Staatsministers im Kanzleramt, Eckart von Klaeden, als Chef lobbyist zu Daimler für Kritik. Denn der CDU-Politiker hatte sich zuvor für Belange des Autobauers eingesetzt.
In Brüssel dürfen ehemalige Kommissare nach dem Ausscheiden 18 Monate lang keine Lobby-Arbeit in ihrem alten Zuständigkeitsbereich für einen neuen Arbeitgeber betreiben. Zudem müssen sie einen neuen Job anmelden - eine Ethikkommission muss diesen genehmigen. Bei Verstößen drohen Abstriche beim Ruhegeld.
Bisher gibt es in Deutschland keine konkrete Regelung. Union und SPD haben aber im Koalitionsvertrag eine in Aussicht gestellt. Berlin soll nach EU-Vorstellungen zudem bei Wahlkampfspenden für mehr Transparenz sorgen und härter gegen Bestechlichkeit gewählter Amtsträger vorgehen. Die Bundesrepublik solle in diesem Bereich "abschreckende straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen" erlassen, heißt es in Malmströms Bericht. Zudem wird Deutschland nahegelegt, kleine und mittlere Unternehmen verstärkt davon abzuhalten, bei Geschäften im Ausland zu bestechen.
Insgesamt erhält Deutschland gute Noten - während die Krisenländer des Südens ebenso wie Bulgarien und Rumänien zu den Sorgenkindern gehören. 99 Prozent der Griechen und 97 Prozent der Italiener glauben, dass Korruption in ihrem Land weit verbreitet ist. Auf europäischer Ebene sind es nur drei Viertel der Befragten. In Rumänien ist Korruption nach dem EU-Bericht gar "im System bedingt".
Offenbar hat die Wirtschaftskrise das Problem verschärft. Mehr als die Hälfte der befragten Europäer ist der Auffassung, dass die Korruption in ihrem Land in den letzten drei Jahren zugenommen hat. Rund jeder zwölfte Europäer gibt an, in den letzten zwölf Monaten Zeuge eines Korruptionsfalls geworden zu sein.
Um Schlagzeilen wie "Pleite-Griechen sind korrupt" zu vermeiden, verzichtete Malmström auf eine Rangliste der EU-Staaten - wie etwa beim Korruptions-Index von Transparency International. Wegen des Widerstands einiger Regierungen verzögerte sich die Vorstellung des Bericht ohnehin schon um Monate.Meinung

Kein leuchtendes Vorbild
Mindestens 120 Milliarden Euro gehen der EU-Wirtschaft jährlich durch Korruption verloren - vor allem in der öffentlichen Auftragsvergabe. Die größten Sorgenkinder befinden sich in Süd- und Osteuropa. Doch Glaubwürdigkeit und Vertrauen kosten auch andere Formen der Vorteilsnahme. Wenn Spitzenpolitiker ihren Einfluss in der Wirtschaft zu Geld machen wollen, muss es dafür Abkühlphasen und Regeln geben. Hier hat Deutschland dringenden Nachholbedarf. Das Problem des ersten Korruptionsberichtes der EU ist aber ein anderes: Die EU ist kein leuchtendes Vorbild. Nach spektakulären Wechseln in die Wirtschaft gibt es zwar Abkühl-Regeln für Kommissare. Doch das Kapitel Korruption in den EU-Institutionen wird in dem neuen Bericht ausgespart. Dabei deckt der EU-Rechnungshof jedes Jahr Milliardenschäden durch Missbrauch und Betrug bei EU-Mitteln auf. Das ist ebenso Steuerzahlergeld wie die Milliarden in nationalen Haushalten. nachrichten.red@volksfreund.de

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