"Es hat keine frische Luft mehr gegeben"

Reisende aus der Eifel haben das Hitzechaos in ICE-Zügen erlebt, in denen am Samstag die Klimaanlage ausgefallen war. Sie schildern dem TV, was sich in den völlig überfüllten Zügen von Berlin aus abgespielt hat.

Daun. Er habe sich gefühlt, als sei er mit Kleidern in der Sauna. "Ich war klatschnass. Innerhalb von drei Stunden habe ich drei Mal mein Hemd gewechselt", sagt Alfred Gundert. Der Ortsbürgermeister von Gefell (Vulkaneifelkreis) ist in einem der ICE-Züge gewesen, in denen am Samstag die Klimaanlage ausgefallen war - und das bei Außentemperaturen von knapp unter 40 Grad. Schon beim Einsteigen in Berlin kurz vor 16 Uhr sei es in einigen Wagen ungewöhnlich warm gewesen. Zunächst sei nur in der 1. Klasse die Klimaanlage gegangen, später ist sie im gesamten Zug ausgefallen.

Gundert ist mit einer 47-köpfigen Gruppe aus der Vulkaneifel auf der Rückreise von Berlin gewesen. Auf Einladung des Dauner FDP-Bundestagsabgeordneten Edmund Geisen haben die Eifeler drei Tage die Bundeshauptstadt besucht. Die Rückfahrt sei der reinste Horror gewesen, berichtet Joachim Kretzer, der die Tour organisiert hatte. Als unverantwortlich bezeichnet es der Mitarbeiter von Geisen, dass Bahnmitarbeiter beim Zwischenstopp in Hannover Fahrgäste aus zwei anderen ICE, in denen ebenfalls die Klimaanlage ausgefallen war, in den mittlerweile überhitzten Zug der Eifeler Richtung Köln geschickt habe. Die Leute hätten dicht gedrängt im Zug gestanden, wegen der überall herumstehenden Gepäckstücke sei kein Durchkommen mehr gewesen. Über 500 Reisende sollen schließlich in dem ICE gewesen sein. "Es war einfach nur chaotisch." Nicht die ausgefallene Klimaanlage sei das eigentliche Problem gewesen, sondern die Überfüllung, sagt auch Gundert.

Zugbegleiter überfordert

 Joachim Kretzer aus Daun war in dem ICE. TV-Foto: Anke Scholz

Joachim Kretzer aus Daun war in dem ICE. TV-Foto: Anke Scholz



"Es gab keine frische Luft mehr, es wurde immer heißer", sagt Kretzer. Auf 70 Grad schätzt der Dauner die Temperatur im Zug. Die Fenster seien "brodelnd heiß" gewesen. Die Zugbegleiter hätten die Fahrgäste mit kostenlosen Getränken versorgt. Ein Kleinkind sei fast besinnungslos geworden und habe nach Luft geschnappt, seine hochschwangere Mutter habe dann in Panik versucht, mit dem Nothammer eine Scheibe einzuschlagen, erfolglos, wie Kretzer berichtet. "Die Scheibe ist gesprungen." Eine blinde Frau sei orientierungslos herumgelaufen, auf der Suche nach etwas zu Trinken. Zwei Ärzte, die unter den Reisenden waren, hätten sich um schwächelnde Passagiere gekümmert, berichtet Gundert. Die Zugbegleiter hätten ständig telefoniert. "Aber", so Kretzer, "die waren völlig überfordert."

Trotz der Gluthitze seien die meisten Reisenden ruhig geblieben. Anders eine Gruppe von Schülern aus dem nordrhein-westfälischen Remscheid, die auf der Rückreise von einer Klassenfahrt nach Berlin war. "Vor allem die Mädchen waren völlig hysterisch, die haben sich gegenseitig verrückt gemacht", sagt Gundert. Die rollende Sauna ist noch eine halbe Stunde weiter gefahren bis nach Bielefeld. Über drei Stunden ist der ICE bereits unterwegs, als er gegen 19 Uhr dort stoppt. Erst gut eine halbe Stunde später seien die ersten Rettungskräfte gekommen und hätten sich vor allem um die Schüler gekümmert, erinnert sich Gundert. Die Eifeler fahren mit einem Ersatzzug von Bielefeld nach Köln, von dort mit einem von unterwegs georderten Bus - "klimatisiert", wie Kretzer betont - nach Hause.

Auch Eduard Pelzer aus Irrel (Eifelkreis Bitburg-Prüm) ist in einer der rollenden Saunen gewesen. Am Samstag kurz nach zwölf Uhr hat sich der 67-Jährige mit einer fünfköpfigen Reisegruppe nach einer Woche Berlin mit dem ICE auf den Heimweg gemacht. Bereits kurz nach Abfahrt sei die Durchsage gekommen, dass in einigen Wagen die Klimaanlage ausgefallen sei, nach und nach sei dann im gesamten Zug die Lüftung ausgefallen. "Die Brühe ist nur noch so gelaufen", sagt auch Pelzer. Was ihn am meisten ärgert, dass das Zugpersonal "die Hände in den Schoß" gelegt habe. "Keiner konnte uns Auskunft geben." Im westfälischen Hamm sind Pelzer und seine Mitreisenden in einen IC umgestiegen und bis nach Köln gefahren. "Da haben wir erst mal alle Fenster aufgerissen." Was in den veralteten IC-Zügen im Gegensatz zu den modernen ICE möglich ist.

Meinung

Zu Fehlern stehen

Die Bahn hat recht: Es ist die Ausnahme, dass in einem ICE die Klimaanlage ausfällt. Es ist auch die Ausnahme, dass ein Flugzeug abstürzt. Trotzdem würde sich wohl kein Chef einer Fluggesellschaft danach hinstellen und sagen, dass die restlichen Flugzeuge problemlos fliegen würden. Mal wieder hat die Bahn ihr schlechtes oder besser fehlendes Krisenmanagement unter Beweis gestellt. Sobald etwas Außerplanmäßiges geschieht, wird erst einmal abgewiegelt und beschwichtigt. Das war im Winter nicht anders, als eben genau die ICE-Züge wegen eisiger Temperaturen nicht mehr fuhren. Und als die ICE vor zwei Jahren für einige Zeit aus dem Verkehr gezogen werden mussten, weil an einem die Achse gebrochen war. Es liegt auf der Hand, dass all diese Pannen auf mangelnde Wartung zurückzuführen sind. Es sind eben genau diese Ausnahmen, die das Image des einstigen Staatsunternehmens prägen. Dabei ist die Bahn in den vergangenen Jahren moderner geworden, nicht nur in den Zügen, auch als Unternehmen. Doch die beste Imagekampagne ist nutzlos, wenn die Bahn nicht zu ihren Fehlern steht. b.wientjes@volksfreund.de

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