"Es kann nicht einfach so weitergehen": Interview mit Integrations-Staatsministerin Özuguz

Berlin · Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) berichtete von Beschimpfungen durch türkische Nationalisten auf dem Anrufbeantworter seiner Frau; in Herne brannten Autos der SPD-Abgeordneten Michelle Müntefering, die von Ankara als "Gülen-Anhängerin" beschuldigt wird. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff fragte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz nach der Zuspitzung im Streit zwischen Deutschland und der Türkei. Die 50-Jährige ist Staatsministerin und Integrationsbeauftragte im Kanzleramt.

Frau Özoguz, wird der deutsch-türkische Streit jetzt gewaltsam gegen SPD-Politiker auf deutschem Boden ausgetragen?
ÖZOGUZ Im Fall Müntefering sind die Urheber nicht klar. Da müssen wir die Ermittlungen abwarten. Aber ohne Zweifel ist spürbar, dass der Versuch von Präsident Erdogan, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, auch in Deutschland bei bestimmten Kräften Gehör findet.

Richtet sich das auch gegen Sie?
ÖZOGUZ Ich war im Rahmen des Wahlkampfes gerade auf Deutschlandtour. Da habe ich das direkt nicht gespürt.
Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Erdogan seine große Keule in Form des Aufrufs zum Wahlboykott gegen SPD, Grüne und CDU auch noch nicht rausgeholt. Was ich aber merke, ist eine unglaubliche Verunsicherung bei vielen Menschen, die aus der Türkei stammen.

Fürchten Sie, dass diese Verunsicherung zu einer größeren Wahlenthaltung unter den Migranten mit türkischen Wurzeln führen wird?
ÖZOGUZ Bei einigen mag das vielleicht so sein. Bei den Nationalisten, die es auch hier gibt, verfängt Erdogans Propaganda natürlich.
Sie fühlen sich von ihm unterstützt. Auf der anderen Seite habe ich aber auch den Eindruck, dass viele sich nicht so einfach instrumentalisieren und an den Rand unserer Gesellschaft drängen lassen wollen.
Sie sagen ganz bewusst: Das ist das Land, in dem ich lebe, das will ich mitgestalten und deswegen gehe ich wählen.

Früher bekam die SPD die meisten Stimmen unter den türkischstämmigen Migranten. Ändert sich das jetzt?
ÖZOGUZ Die SPD stand schon immer an der Seite der Einwanderinnen und Einwanderer, weil sie ihre Probleme aufgegriffen hat, etwa die Mehrsprachigkeit, die Staatsangehörigkeit, aber auch soziale Themen.
Das ist weiterhin so. Aber ich rechne schon damit, dass versucht wird, gegen die SPD Propaganda zu machen, vielleicht sogar Druck auf einzelne auszuüben, die uns oder andere demokratische Parteien wählen wollen. Da müssen wir sehr offensiv dagegen halten. Wir dürfen Erdogan nicht den Raum geben, dass er Menschen in unserem Land für seinen Machtausbau missbraucht.

Das Hauptproblem im deutsch-türkischen Verhältnis sind die in der Türkei verhafteten Deutschen und Deutschtürken wie Denis Yücel, Peter Steudtner oder Mesale Tolu. Was kann die Bundesregierung jetzt tun?
ÖZOGUZ Sigmar Gabriel hat es lange auf diplomatischem Weg versucht, aber es gibt praktisch überhaupt keine Reaktion auf der anderen Seite. Der Außenminister hat recht, jetzt einen härteren Kurs gegenüber dem türkischen Präsidenten zu fahren. Ankara muss klar werden, dass wir diese Festnahmen als pure Willkür betrachten.

Aus der Union und den Linken wird bereits vorgeschlagen, die Vermögen von Erdogan und seines Clans in Europa einzufrieren, also direkt gegen die Machthaber vorzugehen. Was halten Sie davon?
ÖZOGUZ Klar ist, dass es nicht einfach so weitergehen kann. Die Spannungen im Verhältnis zur Türkei beschränken sich aber nicht nur auf Deutschland, sondern sind ein gesamteuropäisches Problem. Deshalb müssen wir jetzt in der EU darüber reden, welche Schritte notwendig sind. Diese Entwicklung können wir nicht hinnehmen.

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