"Es wird gefordert, aber nicht gefördert"

BERLIN. Am Wochenende trat die neue Arbeitsmarktreform in Kraft. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP, Dirk Niebel, hält es für ein Armutszeugnis der Bundesregierung, dass eine bessere Job-Vermittlung einstweilen noch in den Sternen steht.

Herr Niebel, Gegner der Hartz-Reform wollen an diesem Montag zahlreiche Arbeitsagenturen lahm legen. Eine gute Idee?Niebel: Das ist eine völlig überflüssige Idee, denn die Reform ist im Grundsatz notwendig. Hinzu kommt, dass bei einem solchen Vorgehen nicht nur die Mitarbeiter in den Arbeitsagenturen betroffen wären, sondern die Arbeitslosen selbst. Dabei sitzen die eigentlichen Entscheidungsträger in der Bundesregierung. Die geplanten Aktionen zielen also auf den völlig falschen Ansprechpartner. Sind die Arbeitsagenturen gegen mögliche Proteste gewappnet? Niebel: Nach meiner Kenntnis gibt es für einige Arbeitsagenturen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Ich hoffe, dass alle beteiligten Seiten Vernunft walten lassen. Durch die technischen Tücken bei der Einführung der Hartz-Reform ist das Kerngeschäft der Arbeitsagenturen, also die Job-Vermittlung, zum Teil auf der Strecke geblieben. Wird jetzt alles gut? Niebel: Es ist natürlich ein Armutszeugnis, wenn der Wirtschaftsminister Clement jetzt sagt, weil die Reform im Schweinsgalopp eingeführt wurde, sei das Kerngeschäft für rund ein halbes Jahr nicht zu schaffen. Ich kann nicht ausschließen, dass die Datenverarbeitung auch weiter ihre Macken haben könnte. Bisher wurden die Agenturen durch die Erfassung der Anträge lahm gelegt. Ich befürchte, dass die Behörden in den nächsten Wochen durch die Bearbeitung von Widersprüchen lahm gelegt werden. Soll auch heißen, das hehre Prinzip des Forderns und Förderns geht an der Wirklichkeit vorbei? Niebel: Eindeutig ja. Die bessere Betreuung und Vermittlung ist ja die Gegenleistung für die stärkeren Belastungen, die man den Betroffenen zumutet. Sie reichen von der Akzeptanz schlecht bezahlter Jobs bis zum geringeren Arbeitslosengeld II. Es ist also gegenüber den Betroffenen in höchstem Maße unfair, wenn beides nicht zusammen kommt. Aus der Regierungskoalition kommen bereits Nachbesserungsvorschläge für die Reform. Gefordert werden bessere Zuverdienstmöglichkeiten oder einheitliche Regelsätze in Ost und West. Wo sieht die FDP Probleme? Niebel: Wir sind nach wie vor der Auffassung, die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen vollständig den Kommunen u überlassen. Die Bundesagentur kann das nicht. Was den Zuverdienst angeht, so hatten wir bereits im Vermittlungsverfahren höhere Freibeträge gefordert. Nur so können die Menschen motiviert werden, auch schlecht entlohnte Tätigkeiten anzunehmen. Wer bei einem 400-Euro-Job lediglich 60 Euro hinzuverdienen darf, wird diese Motivation kaum haben. Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages steht das Hartz IV-Gesetz verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen. Könnte die Vorlage tatsächlich von Karlsruhe kassiert werden? Niebel: Zumindest haben wir es mit großen Rechtsunsicherheiten zu tun. Hintergrund ist, dass nach den Artikeln 83 und 87 der Verfassung die Bundesgesetze entweder von den Ländern oder von Körperschaften, Anstalten beziehungsweise Stiftungen des öffentlichen Rechts ausgeführt werden. Beides ist bei den Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und Arbeitsagenturen nicht der Fall. So besteht die Gefahr, dass alle von den Arbeitsgemeinschaften erlassenen Bescheide rechtswidrig sind. Bis das nicht abschließend geklärt ist, weiß keiner der Betroffenen, woran er ist. Der Kanzler hat bereits klar gemacht, dass der Wirtschaftsminister persönlich für das Gelingen von Hartz IV verantwortlich ist. Sitzt Wolfgang Clement auf dem Schleudersessel? Niebel: Clement selbst hat schon früher wissen lassen, im Falle eines Misserfolgs der Reform seinen Stuhl zu räumen. Ich möchte ihm da nicht widersprechen. Mit Dirk Niebel sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

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