Etatdebatte: Selbstkritik bei Kirschkuchen

BERLIN. Die Aussprache über den "Einzelplan 04" des Bundeshaushaltes ist normalerweise die Stunde der Opposition. Bietet doch der Etat des Kanzleramtes jedes Jahr aufs neue Anlass zur Generalabrechnung mit der Regierungspolitik. Gestern kam es anders.

Gerhard Schröder hatte nach seiner 45-minütigen Rede gerade wieder auf der Regierungsbank im Bundestag Platz genommen, als sich Unionsfraktionsvize Friedrich Merz spontan zu Wort meldete - und dem Kanzler "Respekt" zollte. Zuvor hatte Schröder der Rhetorik von Union und FDP durch Selbstkritik die Spitze genommen. Ja, es sei richtig, dass in den Zeiten konjunktureller Höhenflüge zu wenig strukturelle Veränderungen in die Wege geleitet wurden. Und dass Rot-Grün bei der Machtübernahme vor fünf Jahren den Demographie-Faktor der alten Regierung zur Dämpfung des Rentenanstiegs kurzerhand abschaffte, sei auch falsch gewesen. Des Kanzlers souveräner Auftritt war gespickt mit Appellen zur parteiübergreifenden Zusammenarbeit - etwa beim geplanten Vorziehen der Steuersenkungen, die Rot-Grün fast vollständig über neue Schulden finanzieren will. Die Frage sei, ob man es miteinander schaffe, für Wachstumsimpulse zu sorgen, lockte Schröder. Dabei zitierte er auch den einstigen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, der vor einem Jahr sagte, höhere Zinsen seien das "kleinere Übel" als höhere Steuern. Oppositionsführerin Angela Merkel tat Schröders Fehlereingeständnis mit dem Hinweis ab, die Sache sei längst geklärt. Der Seitenhieb galt wohl auch ihrem internen Widersacher Friedrich Merz. Schließlich hatte dessen Kanzler-Lob die Schlachtordnung der Unionsreihen durcheinander gebracht. Um so härter rechnete Merkel mit Schröder ab. "Verunsicherung" sei das "Markenzeichen" dieser Regierung, für ihre Politik gebe es "kein Ziel und keine Grundrichtung". Den angemahnten roten Faden ließ Merkel allerdings selbst vermissen. Ihr Auftritt geriet zu einem Sammelsurium von Klagen über die rot-grüne Politik. Auch beim Reizthema Steuerreform zeigte die Unionsfrau dem Kanzler die kalte Schulter. Offen blieb, ob die C-Parteien überhaupt beim Vorziehen der Entlastungen mit machen wollen. Jedenfalls müsse Rot-Grün "etwas Besseres vorlegen". Den Haushalt lehne die Union ab, sagte Merkel. Ihre Unentschiedenheit zwischen Konfrontation und Konsens kleidete sie in ein verräterisches Sprachbild: Wenn die Regierung einen Kirschkuchen backen wolle, dann liefere die Union nicht das Rezept. "Backen sie ihn, dann essen wir gerne mit." Die Unionsreihen bedachten Merkels Auftritt demonstrativ mit lang anhaltendem Applaus. Dabei gab mancher Abgeordnete am Rande zu verstehen, dass er auch schon "bessere Reden" von ihr im Ohr hatte.

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