EU-Hasser Orbán wird für Christdemokraten zur Belastung

Brüssel · Im Parlament sitzen Fidesz-Leute in einer Fraktion mit Abgeordneten der Union.

Brüssel "Stoppt Brüssel" steht auf einem Schreiben, das dieser Tage an alle ungarischen Haushalte ging. Ein Fragebogen, unterzeichnet von Premier Viktor Orbán, soll von den Bürgern ausgefüllt und bis zum 20. Mai zurück geschickt werden. In plump-populistischem Ton werden sechs Fragen gestellt. Die sechste Frage geht so: "Ungarn ist gewillt, weiter die Steuern zu senken." Die EU greife Ungarn deswegen an. "Was soll Ungarn tun?" Der Bürger hat die Wahl zwischen: "Ungarn sollte darauf bestehen, Steuern senken zu dürfen." Oder: "Wir sollten akzeptieren, dass Brüssel die Höhe der Steuern diktiert."
Orbán schürt mit dem Schreiben nicht nur Stimmung gegen die EU, er hantiert mit der Unwahrheit: Steuerpolitik ist Sache der Mitgliedsstaaten. Das Anti-EU-Pamphlet ist kein Einzelfall. Budapest hat gerade für große Empörung mit einem Gesetz gesorgt, mit dem Orbán einer ihm missliebigem Universität den Garaus machen will. Die Central European University (CEU), die von US-Investor George Soros vor 25 Jahren gegründet wurde und überaus renommiert ist, wird als Folge wohl schließen müssen. Hintergrund: Orbán kämpft gegen Soros eine Privatfehde und hat den Investor mit ungarischen Wurzeln zur unerwünschten Person in Ungarn erklärt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fand bei seiner Rede im Straßburger Europaparlament deutliche Worte gegen das Vorgehen Orbáns: Es dürfe Europa nicht egal sein, wenn "der Zivilgesellschaft, selbst der Wissenschaft - wie jetzt an der CEU in Budapest - die Luft zum Atmen genommen werden soll". Steinmeier bekam stehenden Beifall. Die Partei des Rechtspopulisten Orbán Fidesz ist im Europaparlament Teil der größten Fraktion, also der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die deutschen Abgeordneten von CDU und CSU angehören. Ein Abgeordneter, der bei der EVP in der ersten Reihe sitzt, blieb nach der Steinmeier-Rede sitzen und verweigerte den Applaus: Jozsef Szajer von Orbáns Fidesz.
Szajer führt die ungarische Delegation in der EVP an und macht mit dieser Geste auf ein Dilemma von EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) aufmerksam: In seiner Truppe sind etliche Abgeordnete, die dem Rechtspopulisten Orbán nahe stehen. Der Sozialdemokrat Tibor Szanyi setzt Weber nun mit einem offenen Brief unter Druck, Farbe zu bekennen: "Teilt die EVP-Fraktion Orbáns Werte? Billigt die EVP seine Taten?" Orbán und die Fidesz sind längst eine Belastung für die Partei der Europäischen Christdemokraten geworden. Es beschädigt die Glaubwürdigkeit, den Anti-Europa-Politiker in den eigenen Reihen zu haben. Als die Partei jüngst auf Malta zusammenkam, sorgte die Regie dafür, dass die Auftritte von Orbán und Angela Merkel weit auseinander lagen. Ein SPD-Abgeordneter spottet: "Orbán hat bei der EVP die Rolle des immer betrunkenen Onkels, der notorisch die Familienfeste stört."
Bislang deutet aber nichts auf einen Fidesz-Rauswurf hin. Daher werden wohl vorerst die Fidesz-Leute im EU-Parlament auch noch mitten unter entschiedenen Pro-Europäern wie Manfred Weber (CSU) und Herbert Reul (CDU) sitzen. Alexander Graf Lambsdorff (FDP) bezeichnet die "träge Passivität" in Berlin und in der EVP indes als "skandalös". Lambsdorff fordert, Deutschland solle sich in Brüssel für ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn stark machen. Mit einem Rechtsstaatsverfahren kann die EU-Kommission darauf reagieren, wenn sie in einem Mitgliedsland schwerwiegende Verletzungen der EU-Grundwerte feststellt. Die Regularien sehen vor, dass schlimmstenfalls einem EU-Land die Stimmrechte entzogen werden können.
Im Fall von Polen hat sie es nämlich eingeleitet, längst hat es sich aber totgelaufen und erschöpft sich im Austausch von diplomatischen Noten. Daher gibt es in Brüssel kaum die Neigung, sich noch ein zweites Verfahren mit Ungarn aufzubürden. Im Fall von Polen fordert die Europa-Expertin im Bundestag, Franziska Bradner (Grüne), jetzt die Bundesregierung auf, mehr Druck auszuüben. "Die EU-Kommission ist an ihre Grenzen gestoßen, was die Einflussnahme auf die eklatanten Rechtsstaatsverstöße in Polen angeht."

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