EU-Kommission: Hinter den Kulissen knirscht es zwischen Oettinger und Juncker

Brüssel · Es brodelt schon eine ganze Weile im Berlaymont, dem Brüsseler Sitz der Europäischen Kommission. Offiziell geworden sind die Unstimmigkeiten aber erst jetzt.

 Das Archivbild vom November 2014 zeigt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) mit Günther Oettinger

Das Archivbild vom November 2014 zeigt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (rechts) mit Günther Oettinger

Foto: Olivier Hoslet (EPA)

Anlass war der Brief, mit dem Griechenlands Finanzminister Gianis Varoufakis kürzlich die Verlängerung des Hilfsprogramms für sein Land beantragte. Während Kommissionschef Jean-Claude Juncker das Schreiben als Erfolg seiner Vermittlungsbemühungen sah und von einem "positiven Signal" sprach, wertete sein für das Digitale zuständige Kommissar Günther Oettinger das Ganze als "Ablenkungsmanöver". Was folgte, war eine öffentliche Distanzierung vom eigenen Mann. Oettinger, so teilte Junckers Sprecher daraufhin mit, habe ausschließlich seine "private Meinung" vorgetragen und keinesfalls die der EU-Kommission.

Es war der Höhepunkt einer Auseinandersetzung, nicht ihr Beginn. Schon kurz nach Amtsantritt, als sich Junckers Kommission nach den Enthüllungen zur Steueroase Luxemburg bereits einem Abwahlantrag im Europaparlament gegenüber sah, wurden Brüsseler Journalisten gezielt darauf aufmerksam gemacht, dass nur Oettinger auf der europäischen Regierungsbank gefehlt habe. Kurz darauf soll der Deutsche, als er Frankreich wegen seiner anhaltend hohen Neuverschuldung als "Wiederholungstäter bezeichnet hatte, vor versammelter Mannschaft von Juncker zurechtgewiesen worden sein. Seine Botschaft: Zur Wirtschafts- und Währungsunion dürften sich in der EU-Kommission nur er selbst sowie sein Vize Valdis Dombrovskis und der französische Währungskommissar Pierre Moscovici äußern. Anfang Januar schließlich, als die Behörde ein wichtiges Papier zur Auslegung des Stabilitätspaktes vorbereitete, beschwerte sich Oettinger nicht nur bei Juncker, sondern auch bei Angela Merkel, dass er die Unterlagen zu spät erhalten habe. Die Kanzlerin wiederum sprach Juncker darauf an. Wenig später drang dann aus der Kommissionszentrale das Wort vom Fehlstart Oettingers nach außen: Er habe offensichtlich keine große Lust auf sein digitales Dossier, dabei habe man ihn doch ursprünglich zum mächtigen Wettbewerbskommissars machen wollen und einen der sieben Vizeposten angeboten.

Zu dem Streit passt, dass im Lager Oettingers eine ganz andere Version erzählt wird. In dieser Lesart stößt auf Unverständnis, dass sich Juncker, der doch eine politische Kommission führen will, offenbar daran stört, dass da einer von den offiziellen Sprachregelungen abweicht. Und als einer von nur sechs erfahrenen Kommissaren, die eine zweite Amtszeit absolvieren, will sich Oettinger einmischen - in den für Deutschland so wichtigen Geldfragen allzumal. Dass nämlich der Luxemburger Christsoziale Juncker in wirtschaftspolitischen Fragen ganz anders tickt als Parteifreund Oettinger ist ein offenes Geheimnis.

Der Vorwurf aus dessen Dunstkreis lautet dementsprechend, die neue Struktur der neuen EU-Kommission sei darauf ausgelegt, dass Juncker das letzte Wort habe. So müsse bei Streit zwischen den Fachkommissaren und den den sieben Vizepräsidenten als Teamleiter stets der Chef beziehungsweise sein Kabinett, geleitet vom Deutschen Martin Selmayr, entscheiden. Und dieses Spiel macht Oettinger demnach nicht mit - nicht nur, weil er sich eine eigene Meinung leisten will, sondern auch, weil er sich mit seinem Digitalboss Andrus Ansip offenbar ganz gut versteht. Diese Sichtweise kann man wiederum im Juncker-Camp überhaupt nicht nachvollziehen. Noch nie habe ein EU-Kommissionspräsident derart viele Aufgaben delegiert.

Unterschiedliche Interpretationen existieren auch dazu, wie sehr der Streit über die Einmischung in Sachen Griechenland eskaliert ist. Die einen sagen, Juncker sei laut geworden, habe eine letzte Warnung ausgesprochen und gar mit Entlassung gedroht. Die anderen meinen, es sei ruhig und sachlich zugegangen, da viele Kommissare Oettingers Position geteilt hätten.

Eine Koalition hat er in jedem Fall geschmiedet, als es nun in der vergangenen Woche um eine neue Frist ging, bis zu der Defizitsünder Frankreich seine Neuverschuldung wieder in den Griff bekommen soll. Oettinger stärkte dem Letten Dombrovskis, der die vom Franzosen Moscovici vorgeschlagenen drei Jahr mehr nicht mitmachen wollte, den Rücken. Am Ende wurden es für Paris zwei Jahre samt Auflagen. Oettinger stimmte für den Kompromiss und verteidigte ihn anschließend öffentlich. Das gefiel, so hörte man, auch Juncker. Ein uneingeschränktes Lob freilich war es nicht. Es kam vielmehr mit dem Hinweis, Oettinger sei offenbar erfolgreich zur Ordnung gerufen worden. Diese besondere Beziehungsgeschichte dürfte daher noch eine Fortsetzung bekommen.

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