EU verdreifacht Seenothilfe für Flüchtlinge

Brüssel · Nach dem Flüchtlingsunglück im Mittelmeer mit bis zu 800 Toten verdreifacht die EU ihre Mittel für die Seenotrettung. Das haben die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag beim Gipfel in Brüssel nach Diplomatenangaben beschlossen.

Brüssel. Ein Trauermarsch zieht am Tag, als ein EU-Sondergipfel Konsequenzen aus dem Massensterben im Mittelmeer zieht, durch Brüssel. Drei Holzsärge werden vor das Gebäude getragen, wo die Staats- und Regierungschefs später zusammenkommen. "Yussuf Diao, Senegal, ertrunken", steht auf einem davon. "Esther Down, Nigeria, neun Monate, ertrunken", ist auf dem Plakat einer jungen Frau zu lesen. Es sind Einzelschicksale, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zusammengetragen hat.Weitere Aufgaben

Die Forderung der Demonstranten ist klar: "Wir brauchen eine umfassende Such- und Rettungsoperation mit vielen Schiffen auf hoher See", ruft Iverna McGowan, Amnestys Europa-Chefin, der Menge zu. Auch im Europaparlament gibt es eine große Mehrheit dafür, die Seenotrettung massiv auszubauen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die die Operationen "Triton" und "Poseidon" durchführt, "muss künftig in der Lage sein, auf dem offenen Meer zu operieren", schrieben die Fraktionschefs von Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen an den EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk. "Alles andere reicht nicht und wäre eine Schande für Europa", sagt McGowan, die den Entwurf der Gipfelerklärung kennt, der zu diesem Zeitpunkt die Runde macht: "Wir sind sehr besorgt, dass es wieder nicht genug ist."

Am Ende kommt mehr Geld und Gerät zusammen, als noch am Mittag abzusehen war. So wird die Finanzausstattung von Frontex, zurzeit 18,3 Millionen Euro nicht nur verdoppelt, wie im Entwurf zu lesen war, sondern verdreifacht. Damit wird ungefähr das Volumen erreicht, mit dem Italiens Vorgängeroperation "Mare Nostrum" mehr als 100.000 Menschen aus dem Wasser und lecken Booten geholt hat. Die Staats- und Regierungschefs reagieren damit auch auf die Forderung der Vereinten Nationen, wonach im Mittelmeer eine "Kapazität vergleichbar der von ,Mare Nostrum'" benötigt werde.

Die Mitgliedstaaten machen auch konkrete Zusagen, wer welche Schiffe, Flugzeuge und Helikopter ins Mittelmeer entsendet. Kanzlerin Angela Merkel etwa kündigt an, dass Deutschland zwei Schiffe schicken wird. Der Brite David Cameron hat das Flaggschiff der britischen Marine im Gepäck, dazu zwei kleinere Boote - wobei er offen lässt, ob sie allein zur Seenotrettung eingesetzt werden sollen oder auch zur teils militärischen Bekämpfung der Schlepperbanden, zu der der Gipfel den Planungsauftrag erteilt.

Im endgültigen Abschlusskommuniqué des Gipfels heißt es weiter, dass die "Such- und Rettungsmöglichkeiten innerhalb des Mandats von Frontex erweitert" werden sollen. Das aber hat ganz praktische, möglicherweise sogar tödliche Auswirkungen. Denn die von Frontex gestemmte "Triton"-Mission ist konzentriert auf ein Gebiet bis 30 Seemeilen vor der italienischen Küste - und hat auch gar nicht den Auftrag, aktiv nach Booten zu suchen, sondern rettet nach internationalem Seerecht Flüchtlinge, wenn man auf sie trifft oder Notsignale in der näheren Umgebung aufnimmt. So hat es Frontex-Chef Fabrice Leggeri im britischen "Guardian" klargestellt: "Triton kann keine Such-und-Rettungsoperation sein. In unserem Operationsplan ist eine proaktive Suche nicht vorgesehen, das ist nicht Teil des Frontex-Mandats."

Die Frage, was innerhalb dieses nur per Gesetz zu ändernden Mandats geht und was nicht, ist eine der heiklen Fragen des Gipfels. Die EU-Kommission verbreitet am Abend ein Papier, das Leggeri widerspricht: Frontex könne sehr wohl Such- und Rettungsoperationen durchführen. Die Schiffe verfügten ja auch über umfangreiche Aufklärungsfähigkeiten, heißt es in der britischen Delegation, und könnten daher auch die Flüchtlinge aktiv orten. Dies gelte auch für das offene Meer, schreibt die EU-Kommission: "Der Schengener Grenzkodex kennt keine geografische Begrenzung", heißt es darin - alle operationellen Details würden mit dem Gastland, in diesem Falle Italien, geklärt.

Ein osteuropäischer EU-Diplomat berichtet dagegen, das Mandat solle absichtlich nicht auf die hohe See ausgeweitet werden, um "nicht für Millionen Flüchtlinge eine Einladung nach Europa auszusprechen". Er sagt knallhart: "Die erweiterte Triton-Mission wird in der Lage sein, mehr Leben zu retten, aber wir werden weiter tote Flüchtlinge im Mittelmeer haben." Am Ende steht auf dem Gipfel Wort gegen Wort.

Er endet um 21.18, rund fünf Stunden, nachdem die Staats- und Regierungschefs eine Schweigeminute zu Ehren der toten Flüchtlinge abgehalten haben. Ob ihre Beschlüsse wirklich weitere verhindern können, bleibt offen.

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