Euro-Gipfel: "Deutschland muss seine Partner mitnehmen"

Trier · Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Euro-Gipfel ein Durchbruch in der Krisenbewältigung. Im Interview mit TV-Redakteur Heribert Waschbüsch sieht der Trierer Volkswirtschaftler Professor Wolfgang Filc die Situation etwas differenzierter.

Trier. Europa steht am Abgrund. Damit die Krise bewältigt wird, muss sich vor allem auch Deutschland bewegen, meint Professor Wolfgang Filc.
Bricht nun Europa auseinander?
Filc: Das sehe ich nicht so. 17 Euro-Länder nehmen an den vorgeschlagenen Lösungen teil, sechs andere Länder wollen mitmachen, drei stehen auf der Warteliste - das ist kein Zusammenbrechen Europas, sondern ein Alleingang Großbritanniens.
Also Kontinentaleuropa entwickelt sich weiter, Großbritannien geht seinen eigenen Weg?
Filc: Das ist nichts Neues. Schon bei der Gründung der EWG war das so, und als es 1979 zum europäischen Festkurssystem kam, nahm Großbritannien auch nicht daran teil, stieg später ein und wieder aus, je nachdem, wo man den größten Vorteil sah.
Sind die Briten zu egoistisch für Europa?
Filc: Das würde ich nicht sagen. Man will dort wie in den USA die Finanzzentren schützen. Wann immer es um Regulierungsmaßnahmen geht oder die Finanztransaktionssteuer: Großbritanien ist sofort dagegen, weil England zum großen Teil von der Finanzindustrie lebt. Das wichtigste Industrieland im 19. Jahrhundert hat ja kaum noch Industrie.
Sind die Ansätze der 17 Euro-Staaten und ihrer Befürworter nun der Ausweg aus der Krise?
Filc: Man demonstriert zunächst mal wieder Gemeinsamkeit und zeigt: Die Integration bleibt nicht stehen. Das ist ein wichtiges Signal. Wir müssen insgesamt das Finanzsystem stabilisieren. Und bei allem, was jetzt getan wird, gefällt mir am besten, dass die EZB Staatsschuldtitel übernimmt. Das kann sie tun, ohne inflationstreibende Geldschleusen zu öffnen. Es kommt auf die Dosis an, und da hat die EZB noch Spielraum.
Ein Signal? Sehen die Märkte dies auch so?
Filc: Die Märkte, was ist das überhaupt? Zumindest nichts Unschuldiges. Wenn man in Europa erlaubt, dass man mit Kreditausfallversicherungen auf die Insolvenz von Staaten wetten kann, und wenn man feststellt, dass die Großbanken mit den Rating-Agenturen Doppelpass spielen, um Gewinne zu erzielen, die dazu führen, dass die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds getrieben wird, dann ist das ein Unding. Vieles ist nur noch reine Spekulation und hat nichts mehr mit realwirtschaftlichen Faktoren zu tun.
Die Finanzmärkte müssen also an die Leine genommen werden. Geht das ohne die USA und Großbritannien?
Filc: Es gibt Ansätze in der EU, etwa das Verbot von Leerverkäufen in bestimmten Phasen - aber es ist keine Frage, dass Finanzgiganten wie London-City und die Wall Street dagegen sind. Es war immer so, es wird immer so sein. Uns hilft nur, eine kontinental-europäische Lösung zu finden.
... und braucht Europa eine eigene Rating-Agentur?
Filc: Das gehört auf den Wunschzettel, doch diese Agentur darf nicht ausschließlich privatwirtschaftlich organisiert sein.
Welche Rolle kommt Deutschland bei der Krisenbewältigung zu?
Filc: Wir sind einer der wichtigsten Gläubigerstaaten der EU-Länder. Warum? Wir sind mit weitem Abstand Weltmeister beim Pro-Kopf-Exportüberschuss, unsere Leistungsbilanz hat sich in zwölf Jahren um 175 Milliarden Euro aktiviert. Ein Grund dafür ist das Spardiktat bei den Löhnen in Deutschland - mit der Folge, dass wir die Partnerländer in der Europäischen Union an die Wand konkurrieren. Das müssen wir korrigieren, sonst ist die Währungsunion nicht mehr zu retten.
Wir müssen unsere Partner mitnehmen.

Kommentar: Ein wichtiger Schritt

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