Europaparlament will Splitterparteien loswerden

Brüssel · Das Europaparlament stimmt in der kommenden Woche über ein Gesetz ab, mit dem unter anderem europaweit eine Drei-Prozent-Hürde eingeführt werden soll. Allerdings braucht die vorgesehene Wahlrechtsreform zudem die Zustimmung aller EU-Staaten.

Brüssel. Geht es nach seinen Kollegen, wird der Satiriker Martin Sonneborn dem nächsten Europaparlament nicht mehr angehören: Die Abgeordneten wollen nächste Woche eine Wahlrechtsreform auf den Weg bringen, die über europaweit gültige Hürden von drei bis fünf Prozent Miniparteien wie Sonneborns Spaßtruppe "Die Partei", aber auch die Familien-Partei, Freie Wähler oder die NPD aus Straßburg und Brüssel vertreiben würde.
Sie verdanken ihre Mandate dem Bundesverfassungsgericht, das kurz vor der Europawahl 2014 die Drei-Prozent-Hürde gekippt hatte. Die Chancengleichheit sei höher einzuschätzen als die Stabilität eines Parlamentes, das sich erst auf dem Weg befinde, eine richtige Volksvertretung zu werden, urteilte Karlsruhe sinngemäß. Zur Begründung verwiesen die Richter jedoch unter anderem darauf, dass es gar keine EU-Regelung gebe "mit dem Ziel, die Mitgliedstaaten zur Einführung bestimmter Mindestschwellen für die Sitzvergabe zu verpflichten". Hier setzt der SPD-Abgeordnete Jo Leinen an, der im Parlament für das Gesetzesvorhaben verantwortlich zeichnet und fest mit einer Mehrheit rechnet. "Ich habe nichts gegen Herrn Sonneborn, aber etwas gegen den Missbrauch des Parlaments", argumentiert er. Zudem gebe es wegen der vielen EU-Gegner im Parlament immer häufiger knappe Abstimmungen, bei denen das Gemeinwohl nicht an Splitterparteien hängen dürfe. Nähmen sich alle Staaten Deutschland und Spanien zum Vorbild, die seit der letzten Wahl mit 23 Parteien vertreten sind - so argumentiert Leinen weiter -, würden künftig 30 weitere politische Gruppierungen die Parlamentsarbeit vollends unmöglich machen.
Kritiker der Gesetzesinitiative - einer von nur zwei, die das Europaparlament von sich aus ergreifen kann - sehen darin einen Angriff auf die Demokratie. "Allein die Freien Wähler kamen bei der letzten Wahl auf 428 000 Stimmen", sagt deren Abgeordnete Ulrike Müller, "während der Mitgliedstaat Malta überhaupt nur 425 000 Einwohner zählt und sechs Abgeordnete stellt." Das geplante Gesetz wirke sich auch nur auf Spanien und Deutschland aus, weshalb es eine "Lex Germania" sei. In 26 EU-Staaten gibt es bereits eine rechtliche oder natürliche Prozenthürde, weil ein Land wie Irland nur über elf Abgeordnete verfügt. In Deutschland mit seinen 96 Abgeordneten reichten bei der Wahl 2014 weniger als ein Prozent der Stimmen für einen Sitz.
Selbst wenn das Parlament dem neuen Wahlrecht nun zustimmt, mit dem auch das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt und eine gleiche Zahl von Männern und Frauen auf den Wahllisten festgeschrieben werden soll - das Gesetz braucht die Zustimmung aller 28 Regierungen. Um skeptische Länder wie Großbritannien eventuell überzeugen zu können, hat Leinen darauf verzichtet, den wegen verschiedener Wahltraditionen auf vier Tage gestreckten Urnengang auf nur einen Tag zu legen oder europaweite Wahllisten vorzuschreiben: "Das ist ein realistischer Vorschlag."

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