Experten: Wenn Zivis gehen, müssen mehr Freiwillige ran

Trier · Bei der Diskussion um den Wegfall des Zivildienstes fordern Experten eine deutliche Aufwertung der freiwilligen sozialen Dienste. Politik und Gesellschaft seien gefordert. Zudem stellt sich die Frage der Finanzierung.

In vielen sozialen Einrichtungen der Region herrscht ein wenig Resignation und viel Frustration. Die Zukunft des Zivildienstes ist in den vergangenen Monaten mehrfach in Frage gestellt worden. Nun steht der Dienst - nach dem neuen Vorstoß von Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, die Wehrpflicht zu reformieren - vor dem endgültigen Aus.

"Wir haben keine Verlässlichkeit, was die Zivildienstleistenden angeht. Nichts ist eigentlich mehr planbar", sagt Jürgen Etzel vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Trier. Ähnlich sieht das Peter Nilles, Zivildienst-Seelsorger beim Bistum Trier.

Zivis, die ab 1. Dezember 2010 ihren Dienst beginnen, leisten dann nur noch einen sechsmonatigen Dienst. Schon diese Verkürzung ist nach Ansicht der Experten sehr schwierig. "Es bleibt kaum Zeit, dass sich eine betreute Person an einen Zivildienstleistenden gewöhnt", erklärt Peter Nilles. Wird ein älterer Mensch von einem Zivi umsorgt und gepflegt, sollte sich nach Ansicht von Nilles auch ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Doch in der kurzen Zeit sei dies schwierig.

Werde der Zivildienst durch einen freiwilligen Dienst ersetzt, bestehe die Möglichkeit, diese Zeitdauer wieder auszubauen, sagt Nilles. "Im Regelfall geht ein freiwilliger Dienst über zwölf Monate, gelegentlich über 18 Monate und kann im Ausnahmefall auch schon mal auf 24 Monate ausgedehnt werden", erklärt der Bistumsmitarbeiter. Doch Experten sind sich einig: Die notwendigen Kräfte finden die sozialen Einrichtungen nur, wenn es größere Vorteile und Boni für die Helfer gibt.

Ministerpräsident Kurt Beck plädiert für ein "Anreizsystem" bei freiwilligen Diensten. Seine Befürchtung: "Fällt der Zivildienst weg, stellt das viele soziale Einrichtungen vor unlösbare Probleme". Junge Leute sollten besser vergütet und bei gleicher Qualifikation bevorzugt eingestellt werden - "als Agreement in der Gesellschaft".

Bei einer Aussetzung der Wehrpflicht besteht auch die CSU auf einer Aufwertung der Freiwilligendienste als Ersatz für den dann wegfallenden Zivildienst. "Auf diese Situation sollten wir vorbereitet sein", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe in Berlin, Stefan Müller.

Peter Nilles sieht an dem Punkt eine Chance, die Aufgaben des Zivildienstes auf neue Beine zu stellen. "Es muss weitere Anreize und Vorteile für Freiwillige geben - sowie Ansprüche auf die Rente, Boni beim Numerus clausus oder bessere Chancen bei einer Bewerbung", sagt Peter Nilles.

Sozialministerin Malu Dreyer sagt, dass es "eine große Lücke bei den sozialen Diensten reißt", wenn die bislang inoffiziellen Pläne realisiert würden. Die Bundesregierung sei "in der Pflicht, eine Lösung aufzuzeigen". Falle der Zivildienst weg, müsse der Bund die Ersparnisse - er fördert Zivildienststellen zu zwei Dritteln, ein Drittel zahlen die Träger - in die Weiterentwicklung der freiwilligen Dienste investieren.

Derweil rechnen Experten bereits mit vielen Millionen Euro, die die Sozialverbände aufbringen müssten. Bundesweit wären rund 63 000 Zivis durch Freiwillige zu ersetzen. Fast die Hälfte arbeitet in Pflegehilfe- oder in Betreuungsdiensten. Nach Schätzungen von Thomas Niermann, Abteilungsleiters beim Paritätischen Gesamtverband, seien allein für den Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres von heute 30 000 auf 60 000 Teilnehmer bis zu 100 Millionen Euro nötig, berichtete der "Focus". Und nach einem Bericht von Welt-Online, gehen Wohlfahrtsexperten davon aus, dass jährlich Ausgleichszahlungen von rund 200 Millionen Euro notwendig sind, um den Wegfall der Zivis zu kompensieren.

Hintergrund 329 Zivildienstleistende arbeiten derzeit in der Region Trier. Dies geht aus den Zahlen des Bundesamts für den Zivildienst hervor. Insgesamt gibt es 635 Zivildienstplätze. Die meisten bietet der Deutsche Caritasverband an (207 Stellen). Davon sind derzeit 108 besetzt. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hat 177 Zivildienstplätze, davon sind derzeit 75 besetzt, das DRK bietet 119 Plätze (74). 169 Zivis sind in der Pflegehilfe und in Betreuungsdiensten tätig. (hw)

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