"Extrem unwahrscheinlich"

TRIER. Bislang waren die Unruhen in Frankreich weit weg. Doch mit der Eskalation der seit fast zwei Wochen dauernden Gewalt und dem Erreichen der Provinz , wächst auch in Deutschland die Angst vor einem ähnlichen Flächenbrand.

In etwas mehr als einer Stunde ist Metz von seiner Partnerstadt Trier aus zu erreichen. Thionville liegt nur wenige Kilometer hinter der luxemburgischen Grenze. Zwei Städte, einen Steinwurf von Deutschland entfernt, in denen es brennt. Nicht so schlimm wie in Paris oder anderen Großstädten Frankreichs, aber auch in Lothringen ist die Lage angespannt. In Flammen aufgegangene Autos, brennende Mülleimer - und Autohändler, die ihre Wagen vor dem Mob schützen: Das war die Nacht zum Montag in Metz. Bis in den Morgen waren Feuerwehr und Polizei im Einsatz, pausenlos Sirenengeheul nicht nur in den Vorstädten von Metz. In der lothringischen Hauptstadt, in der rund 125 000 Menschen leben, gab es schon einmal Unruhen. Als vor vier Jahren zwei Jugendliche bei einem Zusammenstoß ihres Motorrads mit einem Auto starben, zündeten Jugendliche in dem Vorort Borny 50 Autos an. Mit dem Erreichen der Provinz und damit der Großregion ist die Gewalt auch für die unmittelbaren Nachbarländer nicht mehr anonym. Die Angst wächst, dass durch den Flächenbrand ein Funke über die Grenze springt. Zwar sei eine solche Gefahr durch falsche Integration von Ausländern in Deutschland vorhanden, sagt der Trierer Soziologe und Jugendforscher Waldemar Vogelgesang. Er hält aber eine derartige Eskalation für "extrem unwahrscheinlich". Die Wut der sozial Deklassierten

In Frankreich entlade sich seit Tagen die Wut von Jugendlichen, die in der zweiten, dritten Generation in Wohngettos lebten und sozial deklassiert und benachteiligt seien, meint der Jugendforscher. "Da hat sich einiges seit langem angestaut, das jetzt explodiert." Zwar lebten auch in Deutschland viele Ausländer am Rande von Großstädten auf engstem Raum zusammen, aber sie seien nicht seit Jahren sozial benachteiligt, die Lage sei längst nicht so explosiv wie im Nachbarland. Deutschland habe allerdings genau wie Frankreich ein Integrationsproblem: "Man wollte jahrelang nicht wahrhaben, dass wir ein Einwanderungsland sind." Daher sieht der Jugendforscher zumindest eine latente Gefahr, dass es vereinzelt zu Gewaltausbrüchen in Problemgebieten kommen könnte. "Es könnte Nachahmer der französischen Unruhen geben." Die Polizei sieht die Lage jedoch deutlich angespannter: "Seit Jahren beobachten wir eine Zunahme der Jugendgewalt und Verwahrlosung von Kindern, die Bildung von Jugendbanden und die Ausdehnung des Drogenhandels", kritisiert der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Auch wenn es "einige Ursachen für diese explosive Mischung" gebe, sei man aber von "französischen Verhältnissen" noch weit entfernt. Und so schauten gestern Abend wieder alle gebannt hinüber ins Nachbarland, wo am Morgen ein Mann in einem Nachbarort von Paris an den Folgen einer Auseinandersetzung mit randalierenden Jugendlichen starb. Auch in Metz standen die Einsatzkräfte nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Alarmbereitschaft. An den Abenden zuvor begann die Welle der Gewalt meist kurz nach 20 Uhr. Und in Thionville bereitete man sich auf eine weitere "nuit rouge" (rote Nacht) vor.

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