Fall Tanja Gräff: Sieben Monate Suche und kein Schritt weiter
Kein anderes Thema hat in diesem Jahr die Menschen in der Region so bewegt wie das Schicksal der Trierer Studentin Tanja Gräff. Die 21-Jährige verschwand Anfang Juni vom Sommerfest der Fachhochschule unter mysteriösen Umständen. Seitdem fehlt von der jungen Frau jede Spur - trotz eines immensen Ermittlungsaufwands der Polizei und europaweiter Such-Aktionen von Tanjas Freunden. Und einer Belohnung von 30.000 Euro.
Knapp zwei Jahre noch, dann verabschiedet sich der Chef der Trierer Mordkommission, Bernd Michels, in den Ruhestand. "Bis dahin", sagt der 61-jährige Erste Kriminalhauptkommissar, "will ich diesen Fall gelöst haben. Ich bin wild entschlossen." Dieser Fall - das ist die Vermisstensache Tanja Gräff.Knapp sieben Monate lang befassen sich Michels und seine zeitweise bis zu 30 Kollegen der eigens eingerichteten "Sonderkommission Fachhochschule" nun schon mit der am frühen Morgen des 7. Juni zuletzt lebend gesehenen Tanja Gräff - ohne dabei allerdings einen entscheidenden Schritt weiter gekommen zu sein. Von der jungen Lehramtsstudentin aus Korlingen (Kreis Trier-Saarburg) fehlt jede Spur.
Ein Freund der 21-Jährigen hatte Tanja auf dem FH-Sommerfest gegen 4 Uhr in Begleitung eines unbekannten Mannes Mitte 20 gesehen, der ihn barsch ("Lass Tanja in Ruhe") angefahren haben soll. Möglicherweise ist Tanja Gräff auch später noch einmal in Begleitung des unbekannten jungen Mannes mit kurz geschnittenen Haaren gesehen worden. "Drachenhaus-Spur", "Bauzaun-Spur" oder "Peugeot-Spur" heißen diese, von anderen Zeugen geschilderten Begegnungen im Jargon der Ermittler. Aber ob es sich bei den jungen Leuten wirklich um die vermisste 21-Jährige und ihren ominösen Begleiter gehandelt hat, kann niemand mit Sicherheit sagen.
Sicher ist sich Soko-Leiter Bernd Michels nur in einem Punkt: "Tanja muss ihren letzten Begleiter gekannt haben." Denn die als äußerst zuverlässig beschriebene Studentin hätte nie alleine mit einem ihr unbekannten Mann das Sommerfest verlassen, sagen die Ermittler.
Wegen Tanjas Zuverlässigkeit fährt die Trierer Kriminalpolizei auch unmittelbar nach Eingang der Nachricht von ihrem Verschwinden "das große Programm", veröffentlicht eine Vermisstenmeldung, startet mehrere groß angelegte Such-Aktionen an der Fachhochschule und rund um Tanjas Heimatort Korlingen. Ohne Ergebnis. "Ein Alptraum", meint Bernd Michels. Der Soko-Chef wird das noch häufiger sagen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Immer dann beispielsweise, wenn aus einem der insgesamt weit über 1000 eingangenen Hinweise eine Spur geworden ist, die hoffen lässt, bis sie sich letztlich als "falsch" herausstellt.
Beim spektakulärsten Einsatz nach einem solchen Hinweis riegelt eine Hundertschaft der Polizei eine Woche nach Tanjas Verschwinden ein ganzes Viertel des Trierer Stadtteils Pallien ab, durchsucht dutzende Häuser und Wohnungen. Mehrere Anwohner hatten zuvor vermeintliche "Hilfe"-Schreie einer Frau gehört, "es geht um Leben und Tod", sagt die Polizeisprecherin. Später stellt sich heraus, dass die Schreie vermutlich von einem etwas zu heftig geführten Wortgefecht zwischen Mutter und Tochter herrührten.
Der spektakulärste Einsatz, wie gesagt, aber eben nur ein erfolgloser von dutzenden Einsätzen, Such- und Tauch-Aktionen, die besonders in den ersten Wochen nach Tanjas Verschwinden Medienvertreter aus ganz Deutschland nach Trier locken. Dass der Vermisstenfall bundesweit Aufsehen erregt, ist auch ein Verdienst von Tanjas Freunden und Kommilitonen. Sie kleben Plakate mit Tanjas Konterfei in ganz Deutschland sowie im angrenzenden Ausland, organisieren Info-Stände und eine Lichterkette am Trierer Dom, verteilen zehntausende Handzettel, richten im Internet eine eigene "Findet-Tanja"-Seite ein. Die Resonanz vor allem aus Studierenden-Kreisen ist enorm, streckenweise nimmt sie schon fast überzogene Formen an.
Über die negativen Begleiterscheinungen der Tanja-Suche können auch die Fahnder der "Soko FH" ein Liedchen singen. Nach den zahlreichen Aufrufen an die Öffentlichkeit mit der Bitte um Hinweise boten dutzende Hellseher, Wahrsager und Astrologen ihre Dienste an. "Von denen haben wir inzwischen schon über 100 auf der Liste", meinte Soko-Vize Eckhard Otto genervt, nachdem sich nach Ausstrahlung des Vermisstenfalls Tanja in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" wieder einige selbst ernannte Propheten am Hinweistelefon gemeldet hatten. "Wir lösen diesen Fall nicht durch Kaffeesatz-Leserei oder Hellseher, sondern nur durch kriminalistische Feinarbeit", sagte der Michels-Stellvertreter Ende September.
Drei Monate und mehrere neuerliche Such-Aktionen später ist die Trierer Polizei im Fall Tanja noch keinen wesentlichen Schritt weiter als zu Beginn der Fahndung. "Wir tappen völlig im Dunkeln", lautet die seit Wochen gleiche Auskunft von Kommissariatsleiter Bernd Michels, dessen Soko inzwischen personell deutlich abgespeckt wurde. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis sie ganz aufgelöst wird.
Dass die junge Trierer Studentin noch am Leben sein könnte, glaubt von den Ermittlern niemand mehr. Nur: Wo ist die Leiche? Und wer ist der Täter? Die Chancen, dass Chef-Fahnder Michel die Antworten auf diese Fragen findet, sinken von Tag zu Tag. Rolf Seydewitz