Fallensteller in Merkels Revier

BERLIN. Die Nebelfahrt der Union geht weiter. Niemand blickt mehr durch, und viele fürchten, dass die Vorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) die Orientierung verloren haben.

Bei CDU und CSU eskaliert der Streit um das Gesundheitskonzept. Dies wurde deutlich in der bayerischen Landesvertretung, wo der Berliner CSU-Statthalter Michael Glos den Hauptstadt-Korrespondenten regelmäßig die weiß-blaue Welt erklärt. "Horst Seehofer", sagte Glos gestern unvermittelt, "ist unser Verhandlungsführer". Er sei "fachlich kompetent" und voller "Durchschlagskraft". Eine pikante Personalie, denn die Christdemokraten sind stinksauer auf den CSU-Sozialexperten. Seehofer bekämpft Merkels Gesundheitskonzept (Kopfpauschale) mit aller Macht, und ausgerechnet er soll in der gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der CDU den Kompromiss ausloten. Steckt dahinter also eine neue Provokation?Keine Kritik an der Chefin

In der CDU wird derzeit alles für möglich gehalten, so mancher Abgeordnete sieht überall Fallensteller, die Merkel aus der Reserve locken wollen. Noch steht die Basis hinter der Vorsitzenden, noch hat sie die Fraktion im Griff, wie sich auch gestern in der Sitzung zeigte. Es gab keine Kritik an der Chefin, dafür glaubte die Abgeordnete Vera Lengsfeld, sich über Seehofer beschweren zu müssen. Es war wieder einmal Glos, der für einen entspannenden Lacher sorgte, als er den Parteifreund in Schutz nahm und meinte, CDU und CSU müssten sich als "Teile einer Kampfgemeinschaft" begreifen. Wie verwirrend die Lage ist, belegt die Diskussion um den angeblich neuen Kompromissvorschlag zum Gesundheitskonzept. Demnach akzeptiere die CSU womöglich die CDU-Kopfpauschale, allerdings nur in abgespeckter Form von 110 Euro pro Monat, hieß es. Der Rest des erforderlichen Beitrags solle wie bisher einkommensabhängig vom Lohn abgezogen werden.Beteiligte vereinbaren "Schweigegelübde"

Diese Mixtur stieß bei einem Mitglied der CDU-Verhandlungsgruppe allerdings bloß auf mitleidiges Lächeln. "Viel zu kompliziert", da könne man gleich beim alten System bleiben. Seehofer wollte dazu am Dienstag überhaupt nichts sagen, er berief sich auf "ein Schweigegelübde", das alle Beteiligten abgelegt hätten. Das hinderte den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Volker Kauder, nicht daran, von der CSU einen eigenen Vorschlag zu verlangen: "Wir wollen etwas sehen". Zuvor hatte Glos erklärt, die CSU wolle eine Einigung, "aber nicht um jeden Preis". Auf deutsch: Man ist bislang keinen Deut weiter gekommen und wartet immer noch auf den rettenden Einfall. Ein CDU-Abgeordneter aus Rheinland-Pfalz sagte dazu am Rande der Fraktionssitzung schulterzuckend: "Ich weiß auch nicht, wie es weitergehen soll". Andere übten am Dienstag hinter vorgehaltener Hand Kritik an Merkels Personalentscheidungen für die Nachfolge des aus der Verantwortung geflüchteten Wirtschafts- und Finanzexperten Friedrich Merz. Der bisherige Justitiar Ronald Pofalla habe keine Ahnung von Wirtschaft, und Michael Meister sei zwar Finanzexperte, aber ein unbedarfter Redner. Es sei schwer, meinte ein Unionsmann, sich mit dieser Formation gegen die amtierenden Minister Wolfgang Clement und Hans Eichel im Bundestag behaupten zu können.

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