Falsche Prophezeiungen

Es mag Zufall sein, dass der heftige Streit über Mindestlohn und Arbeitslosengeld II mit dem Jubiläum der Hartz-Reform zusammenfällt. Aber die Debatte zeugt einmal mehr von der politischen Sprengkraft, die bei der überfälligen Neuordnung des Arbeitsmarktes immer mit im Spiel war.

Schon als Peter Hartz - inzwischen längst im VW-Skandal versunken - vor fünf Jahren sein gleichnamiges Programm präsentierte, gingen die Meinungen erheblich auseinander. Der damalige Kanzler Gerhard Schröder feierte den Personalchef des größten deutschen Autobauers als beschäftigungspolitische Heilsfigur, andere beschimpften ihn als Sargträger des Sozialstaats. Keine dieser Prophezeiungen hat sich wirklich erfüllt. Gemessen an den damaligen hochgesteckten Erwartungen fallen die Ergebnisse der Hartz-Reform allerdings ernüchternd aus. Das hat auch mit einem Missverständnis zu tun. Jenseits aller politischen Irrungen über gesetzliche Details war die Reform immer auf eine passgenauere und schnellere Vermittlung der Arbeitslosen angelegt. Doch wo es kaum Jobs gibt, nützt auch die beste Vermittlung wenig. So kam es, dass die Massenarbeitslosigkeit in den ersten Jahren der Hartz-Zeitrechnung weiter nach oben schnellte, ja sogar schnellen musste. Denn mit der ordnungspolitisch gebotenen Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe tauchten plötzlich mehrere hunderttausend Menschen zusätzlich in der Nürnberger Statistik auf. Sie hatte der Sozialstaat zum Teil schon seit Jahrzehnten alimentiert, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Erst durch die Hartz-Reform wurde die versteckte Arbeitslosigkeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Vor diesem Hintergrund erscheinen auch die nahezu konstant hoch gebliebenen Erwerbslosenzahlen in einem etwas anderen Licht. Bei der Geburtsstunde der Hartz-Pläne im Sommer 2002 waren es 3,8 Millionen. Heute sind es lediglich 100 000 weniger.

Natürlich kann die Entwicklung nicht befriedigen. Vor allem wegen der guten Konjunktur hat die ungeliebte Reform jedoch ihren ausschließlich negativen Anstrich verloren. Dass sich die SPD trotzdem damit schwer tut, resultiert aus ihrer Zerrissenheit gerade wegen der Hartz-Gesetze. Durch das einheitliche Arbeitslosengeld II wurden vor allem ehemalige Bezieher von Arbeitslosenhilfe schlechter gestellt. Hinzu kamen die verschärften Zumutbarkeitsregeln zur Annahme eines Jobs. Alles zusammen trug der SPD den Ruf ein, die soziale Gerechtigkeit zu beerdigen.

Von diesem Tiefschlag haben sich die Genossen bis heute nicht erholt. Zumal die Linkspartei damit populistisch Furore macht. In ihrer Verzweiflung setzt die SPD nun auf den Mindestlohn. Doch damit distanziert sie sich auch ein Stück von ihrer eigenen Reform. Den Hartz-Plänen liegt der Gedanke zugrunde, besser eine schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen als gar keine. Von Lohnuntergrenzen war dabei nie die Rede.

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