Fataler Fehlgriff

Sie hören sich relativ harmlos an, doch Begriffe wie "Aufmerksamkeitsdefizit" oder "Überaktivität" umschreiben Syndrome, die für das Umfeld der betroffenen Kinder zum Horror werden können.

Sie hören sich relativ harmlos an, doch Begriffe wie "Aufmerksamkeitsdefizit" oder "Überaktivität" umschreiben Syndrome, die für das Umfeld der betroffenen Kinder zum Horror werden können. Stressige Kinder in einer stressigen Welt sind für viele mehr als eine Herausforderung. Allerdings gibt es auch gewaltige Defizite im Umgang mit der Krankheit, die sich häufig bereits bei Kleinkindern zeigt. Um den Nachwuchs ruhig zu stellen, erst recht, wenn er in die Schule geht, wird zum schweren Medikamenten-Geschütz gegriffen. Ein fataler Weg, der nichts kuriert. Wenn in Extremfällen fast die Hälfte einer Klasse unter der Einwirkung von Psychostimulanzen steht, müssen die Alarmglocken schrillen. Dieser Weg kann nicht akzeptabel sein, wenn Abhängigkeiten und unbekannte Spätfolgen drohen. Sicher: Erzieherinnen im Kindergarten oder Lehrer können ein Lied davon singen, wie rasant inzwischen der Anteil von Jungen und Mädchen gestiegen ist, die nicht mehr zuhören können, nicht mehr aufmerksam sind und keine Ausdauer mehr haben, sondern stattdessen zum großen Unruhestifter werden. Die Folge sind meist genervte Eltern, denen der Griff zur Arznei ratsam scheint. Viel zu eilig wird mit großem Kaliber hantiert, wie auch mittlerweile Experten einräumen. Der therapeutische Ansatz kommt entschieden zu kurz. Ganz abgesehen von der Einsicht, dass noch lange nicht jedes lebhafte Kind auch krankhaft überaktiv ist. In einigen Familien fehlt zudem die Beschäftigung mit den Kleinen und die Zuwendung. Neue Ansätze für eine integrierte Versorgung mit verstärkter Kooperation zwischen Ärzten und Therapeuten können ein Ausweg aus dem Dilemma sein. Der schnelle Griff zu Psychopharmaka ist es nicht. j.winkler@volksfreund.de

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