Feixend vor den Hammel-Türen

Berlin · Als der Ältestenrat des Parlaments gestern zur Krisensitzung auf der Bundestags-Präsidialebene zusammenkam, flogen die Fetzen. Starke Worte wählten die Vertreter der schwarz-gelben Regierungskoalition, "von absolutem Missbrauch der Geschäftsordnung" war dem Vernehmen nach die Rede.

Berlin. Es kommt selten vor, dass in diesem wichtigen parlamentarischen Gremium unter Leitung von Präsident Norbert Lammert (CDU) die Emotionen so überschäumen. Aus Empörung brachen diesmal einige Dämme.
Die Opposition hatte kurz zuvor mit einem heiklen Trick die erste Lesung des Gesetzes über das umstrittene Betreuungsgeld platzen lassen. "Eine Schande" sei dies, "ein ungeheuerlicher Vorgang", "ein kleines, dreckiges Foulspiel", wetterte danach CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt im Einklang mit CDU-Pendant Hermann Gröhe.
Dabei hätten Union und FDP gewarnt sein müssen: SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann hatte bereits am Mittwoch angekündigt, die Opposition werde "alles, aber auch alles" tun, um das Betreuungsgeld zu verhindern. Freilich sprach er da noch über Verfassungsklagen, nicht aber über die Methode "Hammelsprung". Der wurde plötzlich nötig, als im Bundestag bei der Abstimmung über einen Grünen-Antrag zum Wettbewerbsrecht ein klares Ergebnis nicht festzustellen war. Danach hätten die Beratungen über das Betreuungsgeld stattfinden sollen. Die amtierende Parlamentspräsidentin Petra Pau von der Linken ordnete - für viele Beobachter auffällig rasch - wegen der unübersichtlichen Lage den Hammelsprung an, bei dem der Plenarsaal erst komplett geleert und dann an den Türen gezählt wird, wer bei Ja, Nein oder Enthaltung wieder hineingeht. Das Ergebnis: Der Bundestag war nicht beschlussfähig.
Nur 204 Parlamentarier bot die Koalition auf, die meisten wurden eilig über den Sitzungsalarm aus ihren Büros herbeigerufen, nur sieben von der Opposition gingen hinein. Zahlreiche Abgeordnete von SPD, Grünen und der Linken blieben in der West-Lobby des Reichstages feixend vor den Türen stehen. "Als ich am Plenarsaal ankam, hieß es von unseren Leuten: Nicht reingehen", so der Sprecher der SPD-Landesgruppe Rheinland-Pfalz, Gustav Herzog, freimütig. Ein abgekartetes Spiel also. 311 Abgeordnete hätten insgesamt den Saal wieder betreten müssen. Pau brach die Sitzung daraufhin vorzeitig ab. Die Einbringung des Betreuungsgeld-Gesetzes war für diesen Tag krachend gescheitert.

CSU-General: "Mieser Trick"


Zu diesem Zeitpunkt - kurz vor zwölf Uhr mittags - befanden sich schon viele Volksvertreter wieder auf dem Weg in ihre Wahlkreise, was die Opposition offensichtlich geahnt hatte. 40 Prozent der Abgeordneten des Regierungslagers hätten nicht abgestimmt, rechnete SPD-Parlamentsgeschäftsführer Oppermann genüsslich vor. Das sei "ein stummer Protest" gegen das Betreuungsgeld gewesen. Vertreter der Union mussten sich überdies anhören, warum sie angesichts der Brisanz das Thema ausgerechnet auf einen Freitagmittag gelegt hätten, wenn der Bundestag sowieso in Aufbruchstimmung sei. Dazu gab es keine schlüssige Antwort.
Gleichwohl gab es auch kritische Fragen an die Opposition: Ob es nicht unparlamentarisch sei, den Hammelsprung einfach zu verweigern, wurde der Grüne Volker Beck gefragt. "Das liegt in der Freiheit des Abgeordneten", antwortete er.
Nicht jeder aus dem Lager der Koalition war allerdings unglücklich über das Geschehene. "Auch super", meinte einer im Reichstag, als er hörte, dass die Gesetzesberatung vorerst gescheitert war.
Die Zahl der Gegner des Betreuungsgeldes bei Union und FDP ist nach wie vor groß. Viele sind zudem über den verkürzten Zeitplan verärgert, durch den Kanzlerin Angela Merkel das leidige Thema noch vor der Sommerpause abräumen wollte. Nun soll die erste Lesung in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause Ende Juni stattfinden, die abschließende Abstimmung im September.
Der Koalition sei zwar "von hinten in die Hacken" getreten worden, urteilte CSU-General Dobrindt. "Aber der miese Trick der Opposition wird das Betreuungsgeld nicht stoppen."
Meinung

Nicht allzu stolz sein
Der Bundestag hat gestern ein Schauspiel von großem Seltenheitswert erlebt. Es war ein Coup der Opposition, der die Koalition ausgehebelt und das Betreuungsgeld kurzfristig auf Eis gelegt hat. Gleichwohl sollten SPD, Grüne und Linke auf ihr Verhalten nicht allzu stolz sein. Die erlittene Schmach werden Union und FDP nicht auf sich sitzen lassen wollen. nachrichten.red@volksfreund.de

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