Fifa-Ethikhüter können keine Beweise für gravierende Bestechung bei WM-Vergabe finden

Zürich · Die Ermittlungsergebnisse der Fifa-Ethikkommission zu den WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 enden mit einem Freispruch für die Gastgeber. Die WM-Ausrichter haben laut Richter Eckert wie fast alle Kandidaten Regeln verletzt, aber nicht in maßgeblichem Umfang.

Es wurde von fast allen Bewerbern getrickst und geschachert - aber laut Fifa-Ethikkommission nicht entscheidend betrogen. Die WM-Vergabe an Russland 2018 und Katar 2022 lief nach Ansicht der Fifa-Richter in den wesentlichen Punkten korrekt. Von jedem Vorwurf reingewaschen wurde Fifa-Präsident Joseph Blatter. Andere namentlich nicht genannte "Einzelpersonen" müssen aber noch mit Untersuchungen rechnen. Und die Fifa bekam einen Ratschlagkatalog für künftige WM-Vergaben. Einspruch kommt ausgerechnet vom leitenden Ermittler aus den USA. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Untersuchung der Fifa-Ethikkommission:

Wie lautet das Urteil der Fifa-Ethikkommission?
Unschuldig, aber nicht frei von moralischen und juristischen Verfehlungen. So lässt sich das Urteil von Fifa-Richter Hans-Joachim Eckert gegen fast alle Bewerber um die Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 zusammenfassen. Offenkundig verletzten außer dem gemeinsamen Kandidaten Niederlande/Belgien alle anderen acht Bewerber die Regularien mehr oder weniger krass. Ein Einfluss auf die umstrittene Abstimmung im Dezember 2010 sei aber nicht belegbar. Eine Neuausschreibung kommt daher für Eckert nicht infrage.

Welche Vorwürfe werden den einzelnen Kandidaten gemacht?
Die Anschuldigungen sind vielfältig. England und Australien hatten offenbar gezielte Kontakte zum früheren Fifa-Vize Jack Warner, der als Stimmenkäufer bekannt war. Japan, Korea und die USA verteilten unangemessene Geschenke an Funktionäre oder planten unzulässige Wahlabsprachen. Spanien/Portugal wird im Bericht nicht erwähnt, was den Rückschluss zulässt, dass es sich um den Bewerber handelt, der bei den Ermittlungen nicht mit den Fifa-Ethikhütern kooperierte.

Wie wurde explizit die Rolle der WM-Gastgeber Russland und Katar beurteilt?
Die Untersuchungen in Russland wurden erschwert, weil geleaste Computer aus der Bewerbungsphase mittlerweile zerstört wurden. Aktenkundig sind unerlaubte oder nicht gemeldete Kontakte mit Fifa-Funktionären aus der Zeit vor der Abstimmung. Lang ist die Liste der Verdachtsmomente gegen Katar. Sie reicht vom Einfluss der Aspire Academy in der Sportwelt über ein provisionsträchtiges Testländerspiel zwischen Brasilien und Argentinien und der Finanzierung eines Kongresses des Afrikanischen Fußballverbandes bis zu den Aktivitäten von Ex-Fifa-Vize Mohammed bin Hammam. Dem 2011 gestürzten Funktionär können aber nur Verfehlungen im Zusammenhang mit seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur gegen Fifa-Boss Joseph Blatter nachgewiesen werden.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für Russland und Katar?
Beide WM-Gastgeber können ihrer Vorbereitung unbeirrt fortsetzen und haben nun praktisch einen Persilschein bekommen. Die Vorbereitungen in Russland laufen ohnehin auf Hochtouren. Am 25. Juli 2015 werden in St. Petersburg die Qualifikationsgruppen ausgelost. Für Katar reduzieren sich die großen Probleme von drei auf zwei Themenfelder. Weiterhin wird wegen der Sommerhitze nach dem geeigneten Termin gesucht. Und moralische Bedenken wegen missachteter Menschenrechte bleiben bestehen.

Was bedeutet das Ermittlungsergebnis für Fifa-Präsident Blatter?
Der Boss des Weltverbandes ist ein großer Gewinner der Ermittlungen. Die Ethikhüter bescheinigen Blatter nicht nur ein absolut korrektes Verhalten im Vergabeprozess, sondern stellen sogar seine vorbildliche Rolle beim Fifa-Demokratisierungsprozess heraus. Dass unter der Führung des Schweizers ein System etabliert war, das Einflussnahme und Korruption zumindest am Rande der Legalität tolerierte, spielte bei der Bewertung keine Rolle.

Welche Bedeutung hat die Ankündigung von Chefermittler Michael Garcia, die Entscheidung beim Berufungskomitee anzufechten?
Diese Nachricht ist eine Überraschung und sorgt für einen Bruch innerhalb der Ethikkommission, der nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfte. Garcias Einspruch gleicht dem einer Staatsanwaltschaft vor einem ordentlichen Gericht. Aussicht auf Erfolg hat er hingegen kaum. Das Berufungsgremium kippt selten Entscheidungen und sicher nicht eine mit dieser Tragweite.

Ist der Fall damit doch nicht endgültig abgeschlossen?
Für Blatter und die Bewerberländer scheint die Angelegenheit erledigt. Nun muss man den Einspruch Garcias zumindest noch formal abwarten. Für einige Fifa-Funktionäre könnte es ohnehin noch ein Nachspiel geben, sofern Chefermittler Garcia nochmals aktiv wird. Richter Eckert deutete an, dass er einen solchen Schritt für angemessen halten würde.

Wie unabhängig waren die Ermittler und Richter?
Die Fifa-Ethikkommission ist nach den Statuten des Weltverbandes unabhängig bei all ihren Tätigkeiten. Die Integrität und das internationale Renommee von FBI-Mann Garcia (ermittelnde Kammer) und Eckert (rechtssprechende Kammer) sprechen für eine Einhaltung dieses Prinzips. Unabhängigkeit allein hilft dem Gremium aber nicht weiter. Eckert stellte heraus, dass den Ethikhütern nicht die Kompetenzen staatlicher Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehen. Wer nicht kooperieren will, muss nur die Sportgerichtsbarkeit fürchten - wie Franz Beckenbauer bei seiner provisorischen 90-Tage-Sperre im WM-Sommer wegen mangelnder Kooperation. Bin Hammam zum Beispiel verweigerte bislang jede Aussage, ist aber ohnehin schon lebenslang von der Fußball-Familie ausgeschlossen.

MEINUNG

Sepp und das Kasperletheater

Von Rebecca Schaal

Die Fifa-Ethikkommission weist alle Korruptionsvorwürfe im Rahmen der WM-Vergaben 2018 und 2022 zurück. Die seltsamen Umstände dieser Entscheidung löschen die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vergaben aber nicht aus, sondern untermauern sie noch:

1. Die Fifa-Ethikkommission setzt sich aus zwei Kammern zusammen, einer ermittelnden und einer rechtssprechenden. Chefermittler Michael Garcia will gegen den nun veröffentlichten Bericht vorgehen - das Papier sei unvollständig und fehlerhaft. Wenn es keine Korruption gab, warum veröffentlicht die Fifa dann nicht alle Ermittlungsergebnisse, sondern veränderte den Bericht laut Garcia vor der Veröffentlichung?
2. Die Bewerbergemeinschaft Spanien/Portugal kommt im Bericht nicht vor. Vermutlich, weil sie bei den Ermittlungen nicht kooperieren wollte. Das stelle man sich mal im richtigen Leben vor: Ich werde wegen einer möglichen Straftat befragt, möchte aber lieber nichts dazu sagen. Danach werde ich zwar nicht explizit freigesprochen - aber eben auch nicht schuldig. Prima!
3. Die Fifa wird kontrolliert von - oh, der Fifa. Zwar ist die Ethikkommission unabhängig in dem Sinne, dass sie nicht vom Exekutivkomitee, sondern vom Kongress gewählt wird (setzt sich aus allen Mitgliedsverbänden zusammen). Der Beigeschmack wäre aber erst dann weniger fade, wenn Experten, die wirklich nichts mit der Fifa zu tun haben, ermitteln und entscheiden.
4. Der deutsche Fifa-Richter Hans-Joachim Eckert hat klargestellt, dass der Ethikkommission bei ihren Nachforschungen nicht die Möglichkeiten staatlicher Ermittlungsbehörden zur Verfügung stehen. Und auch die Konsequenzen bei möglichen Verfehlungen und mangelnder Kooperation sind fragwürdig: Der Ausschluss aus der Fifa für ehemalige Entscheidungsträger ist spätestens seit dem Fall Mohammed bin Hammam erwiesermaßen kein probates Mittel, um einen Beschuldigten zum Reden zu bringen.
5. Ach, und selbstverständlich betonen die Ethikhüter explizit, dass Fifa-Boss Joseph "Sepp" Blatter eine vorbildliche Rolle beim Fifa-Demokratisierungsprozess innehat und frei von jeder Schuld ist. Jene Hüter, die dem Ethikreglement folgen, das vom Fifa-Exekutivkomitee erlassen wird. Jenes Exekutivkomitee, dessen Vorsitzender eben jener Joseph Blatter ist. Ein Schelm, wer sich bei diesem Kasperletheater Böses denkt.
r.schaal@volksfreund.de

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