"Fischer hatte es auf dem Radarschirm"

BERLIN. Im Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre schlug gestern die Stunde der Diplomaten. Sie fanden kritische Worte zum so genannten Volmer-Erlass.

Kurz nach Inkrafttreten des Volmer-Erlasses im März 2000 meldete der damalige Botschafter Ernst-Jörg von Studnitz Bedenken gegen die neue Visa-Politik an: "Die Botschaft bedauert, dass die praktischen Erfahrungen der Vertretungen kaum berücksichtigt wurden", hieß es in einem Brief an das Auswärtige Amt. Eingedenk des massenhaften Ansturms von Reisewilligen hatte man den Volmer-Erlass in der Moskauer Botschaft anfangs als Arbeitserleichterung begriffen. Nach Angaben des Ex-Diplomanten stellte sich die Anweisung aber "sehr bald" als "Fehler" heraus, weil sie den "Eindruck" erweckte, die Visa-Anträge seien nicht mehr mit der notwendigen Schärfe zu prüfen. Gerade weil die Moskauer Botschaft sich nicht an den Geist des Volmer-Erlasses hielt, konnte ein größerer Missbrauch verhindert werden. Da dort genauer hingeschaut wurde, hielt sich auch der Anstieg der erteilten Visa in Grenzen. Dagegen verbuchte die deutsche Vertretung in Kiew im gleichen Zeitraum eine explosionsartige Zunahme der Visa. Der amtierende Botschafter in Kiew, Dietmar Stüdemann, der gestern ebenfalls im Ausschuss auftrat, klagte dann auch über die erheblichen Probleme bei der Umsetzung der neuen Anweisungen aus Berlin: Die Erlasse seien "nicht praktikabel für ein Land wie die Ukraine" gewesen, weil es kriminelle Strukturen für illegale Schleusungen gegeben habe. Dies habe er auch dem Auswärtigen Amt mitgeteilt. "Aber die Zentrale hat uns nicht unterstützt", betonte Stüdemann. Dabei hat Außenminister Joschka Fischer nach Aussage des ehemaligen Leiters der Rechtsabteilung des Außenamtes, Gerd Westdickenberg, schon 1999 von den Änderungen der Visa-Praxis gewusst. Für von Studnitz steht außer Frage, dass Fischer über die Warnungen aus den Auslandvertretungen im Bilde war. "Ich hatte das wie man so schon sagt, nicht in der Intensität auf dem Radarschirm, wie ich das eigentlich hätte haben müssen", meinte der Minister dagegen noch Anfang April. Gestern konterte von Studnitz: "Auf dem Radarschirm war es. Die Frage ist nur, ob er hingeschaut hat." Auch heute kann es für den heimlichen Obergrünen wieder eng werden. Dann tritt Ludger Volmer in den Zeugenstand - vor laufenden Kameras.

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