"Flexibilität statt Sozialismus"

Für die deutsche Finanzwelt schlägt am morgigen Mittwoch die Stunde der Wahrheit. Das Bundeskabinett will ein sogenanntes Rettungsübernahmegesetz auf den Weg bringen, das im Extremfall auch eine Enteignung der Aktionäre der schwer angeschlagenen Bank Hypo Real Estate (HRE) vorsieht.

Berlin. Die Marschrichtung hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon vor zwei Tagen vorgegeben: "Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen." Eine Enteignung sei dabei allerdings das letzte Mittel, stellte ihr Sprecher Ulrich Wilhelm gestern noch einmal klar. Sie komme nur in Betracht, wenn zuvor alle "weniger einschneidenden, rechtlich und wirtschaftlich zumutbaren Lösungen" gescheitert seien.

Die Regierung will einen Zusammenbruch der HRE verhindern, um weitere unkalkulierbare Risiken für den Finanzmarkt abzuwenden. Im vergangenen Herbst hatte der Crash der US-Bank Lehmann Brothers die internationale Finanzkrise nachhaltig verschärft. In ihren Bilanzsummen sind beide Institute durchaus vergleichbar. Bislang erhielt die HRE 102 Milliarden Euro an Kapitalhilfen und staatlichen Garantien. Für die Stabilisierung der HRE strebt der Bund eine "Kontrollmehrheit" (Merkel) in dem Kreditinstitut an. Mit dem staatlichen Bankenrettungspaket, von dem auch die HRE profitiert, ist es bislang nur möglich, dass der Bund sich bis zu einem Drittel beteiligt.

Zur Erlangung der Mehrheit wurden in den vergangenen Tagen von der Regierung mehrere Möglichkeiten zu einer Enteignung diskutiert. Dazu gehörten die Option eines Übernahme-Angebots, eine reine Kapitalerhöhung sowie der staatliche Erwerb von Bank-Tochtergesellschaften. Im Bundesfinanzministerium hält man diese Möglichkeiten nicht für zielführend. Zu langwierig und kaum rechtssicher, lautet die Begründung. Als wahrscheinliche Variante gilt nun ein sogenannter Kapitalschnitt. Das ist eine Kombination aus Kapitalher absetzung und anschließender Kapitalerhöhung durch den Staat unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre. Ob eine solche Möglichkeit zum Zuge kommt, hängt in erster Linie von der Kompromissbereitschaft des HRE-Großaktionärs Christopher Flowers ab. Da sich der Bund im Zugzwang sieht, die Bank zu retten, könnte Flowers die Preise hochtreiben.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte Flowers schon in der vergangenen Woche eine Enteignung angedroht, falls sich der Investor stur zeigt. Die Union drängte darauf, zunächst Alternativen auszuprobieren, bevor eine Enteignung in Betracht kommt.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla bekräftigte gestern noch einmal den Standpunkt seiner Partei, dass eine Enteignung der HRE die "allerletzte Möglichkeit" darstelle und auch nur dann zu rechtfertigen sei, wenn der Steuerzahler sonst mit Milliardenverlusten belastet würde. Der neue Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) verwahrte sich gegen den Eindruck, die Union hänge staatssozialistischen Gedanken an. Es gehe um "flexible Lösungen und nicht um ideologische Romantik", sagte der Minister.

Reizwort Enteignung Die Bundesregierung tut sich schwer mit dem Begriff "Enteignung", weil er ans Grundverständnis der Marktwirtschaft rührt. Im Zusammenhang mit einer möglichen Verstaatlichung der angeschlagenen HRE-Bank spricht man in der Großen Koalition deshalb lieber von "Rettungsübernahme". Dabei ist die Zwangsverstaatlichung nach Artikel 14 des Grundgesetzes durchaus möglich. Mit Blick auf die Bankenwelt hieße das, der Bund erklärt sich zum Eigentümer der HRE. Damit verlieren die Aktionäre ihr Eigentum einschließlich der Stimmrechte, weil ihre Anteilsscheine praktisch Makulatur sind. Finanziell käme der Bund damit vermutlich am billigsten weg. Dafür sind die politischen Kosten unkalkulierbar. (vet)

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