Flucht nach vorn

WASHINGTON. Seit die Medien in den USA Bilder misshandelter und ausgeraubter toter US-Soldaten im Irak zeigen, gerät Präsident George W. Bush noch mehr in die Defensive. Mit Auftritten vor Angehörigen Gefallener versucht er, die Kritik zu entschärfen.

Nachdem am Sonntag zwei Soldaten der 101. Luftlande-Division, die in der nordirakischen Stadt Mosul in einen Hinterhalt geraten waren, von vorwiegend jugendlichen Bewohnern der Stadt nach Augenzeugenberichten verstümmelt und dann ihrer gesamten persönlichen Habe beraubt wurden, schlagen die Emotionswellen in den USA hoch. "Bastarde!” überschrieb sogar eine New Yorker Zeitung ein ganzseitiges Foto auf der Titelseite, das die Leiche eines der beiden Getöteten zeigt. Stündlich zeigten Sender wie CNN oder Fox News die Tatort-Szene in Mosul, während Kommentatoren des Senders Fox erstmals die Frage aufwarfen, ob ein Volk, das seine "Befreier abschlachtet, überhaupt unser weiteres Engagement verdient.” Mit dieser Debatte steigt auch der Druck weiter gegenüber US-Präsident George W. Bush, der sich neben der Frage des tatsächlichen Fortschritts im Irak auch heftiger Kritik wegen seines Umgangs mit Angehörigen von Gefallenen ausgesetzt sah, weil er bisher Beisetzungen ferngeblieben war. So hatte erst in der vergangenen Woche die Mutter eines Soldaten, der beim Abschuss eines Chinook-Helikopters bei Falludschah ums Leben gekommen war, den Präsidenten im Fernsehen und in Zeitungs-Interviews attackiert: Er habe kürzlich zwar zum Sammeln von Wahlkampfspenden den Heimatstaat der betroffenen Soldatenfamilie besucht, aber nicht das Gespräch mit ihnen gesucht: "Er hätte ja nur ein paar Worte sagen müssen.” Auch die Meldungen über die Pentagon-Politik, Berichte und vor allem Fotos über die Rückführung von Soldatensärgen zu unterbinden, und über eine hohe Selbstmord-Rate unter den GI sind in der amerikanischen Öffentlichkeit nicht gut aufgenommen worden. Der Präsident trat deshalb am Montag die Flucht nach vorn an und traf sich auf dem durch Verluste schwer getroffenen Militärstützpunkt Fort Carson im US-Bundesstaat Colorado erstmals mit fast 100 Angehörigen von 26 Soldaten, die im Irak den Tod gefunden hatten. Allerdings stellt sich die Frage, ob diese Zielsetzung und die damit gekoppelten Durchhalte-Parolen langfristig mit der Stimmung im Land vereinbar sein werden: Einer jüngsten Gallup-Umfrage zufolge ist die Zustimmungsrate der Amerikaner zur Irak-Politik des Weißen Hauses weiter abgesunken: Derzeit begrüßen nur noch 45 Prozent der Bürger die Strategie und die Handlungen Bushs, vor drei Monaten waren es noch 56 Prozent.

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