Flucht nach vorn

Hartmut Mehdorn suchte sein Heil gestern in einer dramatischen Offensive: "Wir haben kein Recht und kein Gesetz gebrochen. Wir lassen uns nicht kriminalisieren, wir haben unsere Mitarbeiter nicht bespitzelt", stellte der Bahnchef mit deutlichen Worten bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz im Bahntower klar.

Berlin. So unterschiedlich kann die Wahrnehmung sein - wer gehofft hatte, der rastlose, im Berliner Regierungsviertel jedoch weitgehend unbeliebte Top-Manager würde klein beigeben, sich gar bei seinen Mitarbeiten entschuldigen, der sah sich getäuscht.

"Es war ein typischer Hartmut Mehdorn. Er gegen den Rest der Welt", urteilte anschließend der grüne Verkehrsexperte Winfried Hermann. In der Tat, der Vorstandschef ist dafür bekannt, seine scharfen Krallen auszufahren, wenn er sich und sein Unternehmen ungerecht behandelt sieht. Und das ist fast immer der Fall. Zuletzt beim Thema Bonuszahlungen für die Konzernspitze bei einem Börsengang; diesmal sieht sich das Unternehmen dem Vorwurf der Bespitzelung ausgesetzt. Denn die Bahn hat im Kampf gegen Korruption nach eigenen Angaben 173 000 ihrer 240 000 Mitarbeiter heimlich überprüft. Selbst dem inzwischen immensen politischen Druck trotzte der 66-Jährige gestern mit seinem Auftritt. Gegen "polemisch und überzogen dargestellte Vorwürfe" werde man sich wehren - und gemeint waren damit nicht nur die Medien, sondern auch die Verkehrspolitiker des Bundestages. In dieser Woche waren sie (mal wieder) harsch mit dem Bahnchef ins Gericht gegangen, nachdem im Verkehrsauschuss überraschend das Ausmaß der Datenkontrolle bekannt geworden war. Man muss allerdings wissen, dass der unerbittliche Mehdorn bei den Parlamentariern schon lange jeglichen Kredit verspielt hat: Zu viele Affronts in der Kommunikation, zu viele Unhöflichkeiten im Umgang mit den gern gebauchpinselten Abgeordneten leistete er sich in der Vergangenheit. Und selbst wenn er im Recht ist, hat er deshalb doch stets schlechte Karten. Die Bahn sei bei der Bekämpfung der Korruption "beispielhaft", wie die Anti-Korruptionsorganisation "Transparency" festgestellt habe, meinte Mehdorn.

Kanzlerin erwartet lückenlose Aufklärung



In den nächsten Wochen werden die diversen Gremien des Konzerns sowie der Verkehrsausschuss des Bundestages die Datenaffäre unter die Lupe nehmen. Dabei geht es auch um die Frage, ob Mehdorn von alledem tatsächlich nichts gewusst hat. Das Unternehmen will zudem von sich aus die Staatsanwaltschaft einschalten. Diese solle Aufklärung schaffen und einer "unverantwortlichen Skandalisierung" den Boden entziehen. Zumindest diese Maßnahme dürfte Angela Merkel gefallen: "Wir erwarten lückenlose Aufklärung und Information", hatte sie dem Bahnchef mitteilen lassen. Bislang hat die Kanzlerin - wie schon ihr Vorgänger Gerhard Schröder - stets die schützende Hand über den durchaus erfolgreichen, aber völlig undiplomatischen Manager gehalten.

Manch einer fragt sich inzwischen, wann Merkels Vorrat an Geduld aufgebraucht ist.

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