Flüchtlingskrise: Mit Mahnschreiben gegen den Kollaps des Dublin-Systems

Brüssel · Die EU-Kommission hat bereits 32 Verfahren gegen Mitgliedstaaten eröffnet, die die gemeinsame Flüchtlingspolitik nicht umsetzen. Weitere sollen folgen.

Schon vor der politischen Sommerpause hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière festgestellt, dass das sogenannte Dublin-System "erodiert". Gemeint war damals, dass vor allem das mit der großen Zahl von Flüchtlingen überforderte Italien nicht mehr alle Asylanträge derjenigen Menschen bearbeitet, die dort zum ersten Mal EU-Territorium betreten, sondern diese quasi ungeprüft nach Deutschland weiterreisen lässt.

Nach den Ereignissen der vergangenen Tagen, da nun auch Ungarn Züge voller Flüchtlinge nach Österreich fahren ließ, deren Kontrolle an der Grenze die dortigen Behörden nicht mehr leisten konnten, müsste de Maizière eigentlich von "kollabiert" sprechen - auch wenn die ungarischen Behörden am Dienstag in einem martialischen Versuch, die Ausreise der Asylbewerber zu verhindern, den Budapester Bahnhof abriegeln ließen. "Der Handlungsbedarf ist offenkundig", sagt de Maizières Parteifreund Herbert Reul, der Chef der Unionsabgeordneten im Europaparlament: "Das Dublin-System muss um eine Quotenlösung und Mindestbedingungen bei der Flüchtlingsaufnahme ergänzt werden."

Die Flüchtlingskrise in Europa nimmt immer dramatischere Formen an - und die bisher geplanten Gegenstrategien funktionieren nicht. Ende Juli scheiterte die EU mit dem Versuch, 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland über die Gemeinschaft zu verteilen. Die 32.000, auf die man sich einigen konnte, sind angesichts der 80.0000 Asylbewerber, die allein Deutschland in diesem Jahr erwartet, nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Und die einheitliche Anwendung geltenden Rechts zur Registrierung von Flüchtlingen, die Durchführung der Verfahren im Erstaufnahmeland oder vergleichbare Aufnahmebedingungen stehen nur auf dem Papier.

Die EU-Kommission kündigte am Dienstag nicht nur an, dass ihr Präsident Jean-Claude Juncker rechtzeitig vor einem Krisentreffen der EU-Innenminister am 14. September neue Vorschläge machen will, sondern nun auch verstärkt juristisch gegen die Mitgliedstaaten vorgegangen werden soll, die die Regeln nicht einhalten. Seit Inkrafttreten der 2013 verabschiedeten gemeinsamen Asylregeln hat die Brüsseler Behörde 32 entsprechende Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. "Mehr werden nun folgen", sagte Kommissionsprecherin Natasha Bertaud am Dienstag, nachdem die Kommission weitere Mahnschreiben verschickt hatte: "Wir sind entschlossen, diese Regeln durchzusetzen. Denn die EU kann auch im Schengen-Raum nur funktionieren, wenn sich alle daran halten."

Dies sicherzustellen ist auch Gegenstand eines Treffens von Juncker mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, der am Donnerstag in Brüssel erwartet wird. Im Gespräch ist, dass die EU seinem Land - im Gegenzug für eine Einhaltung der Regeln - wie Griechenland und Italien auch Flüchtlinge abnehmen könnte. Zumindest könnte Ungarn auch einen der geplanten "Hotspots" bekommen, die die EU plant: Experten der Grenzschutzagentur Frontex, Europol sowie des europäischen Asylamtes sollen die Mitgliedstaaten künftig stärker bei der Registrierung von Flüchtlingen unterstützen. Die SPD-Europaabgeordnete Birgit Sippel hält das ungarische Vorgehen dagegen für einen "aus innenpolitischen Gründen absichtlich herbeigeführten Kollaps des Dublin-Systems". Orbans Regierung habe sich nie adäquat auf die steigenden Flüchtlingszahlen vorbereitet und auch keine EU-Hilfe beantragt.

Ungarn aber auch Österreich dagegen werfen der Bundesregierung vor, selbst das Dublin-Verfahren zu zerstören, weil Syrer seit vergangener Woche nicht mehr in ihr "erstes" EU-Land abgeschoben werden, damit das Asylverfahren dort stattfindet. Während manche in Budapest und Wien darin einen zusätzlichen Anreiz sehen in die EU zu kommen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dies unterstreiche "die humanitäre Verantwortung Deutschlands für diese besonders betroffenen Flüchtlinge": "Deutschland hat Dublin nicht ausgesetzt. Die Dublin-Regelungen gelten und wir erwarten, dass sich die europäischen Mitgliedsstaaten daran halten."

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