"Föderalismus hat Konjunktur"

TRIER/MAINZ. Der Föderalismus muss reformiert werden - das fordert Christoph Grimm. Warum und wie, erklärt der Landtagspräsident im TV -Interview.

Warum brauchen wir eine Föderalismus-Reform? Grimm: Wesentliche Gesetzgebungskompetenzen, die ursprünglich bei den Ländern lagen, sind zwischenzeitlich beim Bundestag beziehungsweise bei der Europäischen Union angesiedelt. Will man einen echten Föderalismus zurückbekommen, muss vor allem die Gesetzgebungsfunktion der Länder wieder hergestellt werden. Die Entscheidungskompetenz muss dort liegen, wo auch die Probleme auftreten. Worüber würden Sie in Zukunft gerne in Mainz statt in Berlin entscheiden? Grimm: Wieso soll der Bund bestimmen, was in Rheinland-Pfalz an Verkehrsprojekten geplant wird, was Priorität hat - etwa, ob es den Moselaufstieg gibt oder nicht? Ob ein Land die Vermögenssteuer wieder einführen darf? Ob das Fächerangebot an der Universität Trier ausgeweitet wird? Europa wächst zusammen, und Entscheidungen werden nach oben verlagert. Sie fordern dagegen eine Stärkung unterer Ebenen. Ist das zeitgemäß? Brauchen wir noch Föderalismus? Grimm: Föderalismus ist zeitgemäßer denn je. Verantwortlich entscheiden kann nur, wer auch einen gewissen Durchblick hat. Deshalb müssen die Entscheidungszuständigkeiten so nah wie möglich bei den Bürgern sein. Eine Mammutbehörde in Brüssel wird sehr viel weiter von den spezifischen Problemen etwa rheinland-pfälzischer Winzer entfernt sein als der Landtag oder Behörden vor Ort. Der Föderalismus ist angesichts der zentralisierenden Tendenzen wichtiger denn je. Die Grundidee des Föderalismus sollte die künftige Struktur der EU widerspiegeln. Nach dem Grundgesetz haben die Länder weit reichende Machtbefugnisse. Wo sind die geblieben? Grimm: Nehmen Sie etwa die Rahmengesetzgebung. Ursprünglich sollte der Bund einen Rahmen setzen, innerhalb dessen den Ländern ein großer eigenverantwortlicher Gestaltungsspielraum bleibt. Im Laufe der Jahrzehnte hat der Bund diesen Rahmen so eng gesetzt, dass wir im Grunde eine Bundesgesetzgebung haben, obwohl es nach der Verfassung eine Landesgesetzgebung wäre. Oder die Hochschulpolitik: Die Landesregierungen haben Kompetenzen im Gegenzug gegen eine Finanzbeteiligung abgegeben - und in anderen Fällen gegen ein größeres Gewicht im Bundesrat. Das ging zulasten der Länderparlamente. Auch, was die Finanzierung betrifft, fordern Sie Änderungen. Grimm: Im Grundsatz von allen gewollt, aber in der Ausführung noch umstritten ist die Reform der Finanzverfassung, um die Finanzautonomie der Länder zu stärken. Sie sprechen vom Länderfinanzausgleich. Hier prallen Forderungen nach Wettbewerb und der Solidaritätsgedanke aufeinander. Grimm: Klar ist, dass die finanzielle Eigenverantwortung der Länder gestärkt werden muss. Es kann allerdings nicht sein, dass sie dem freien Spiel der Kräfte ausgeliefert sind. Das wäre fatal für die bundesdeutsche Ordnung, die ja nach dem Grundgesetz darauf angelegt ist, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Das ist eine Herkulesaufgabe, die mindestens noch ein Jahrzehnt dauern wird, so lange es so eklatante Unterschiede in der Finanzkraft der Länder gibt. Was ändert sich für die Bürger, wenn Sie Ihre Ziele durchsetzen können? Grimm: Wir verdeutlichen die Verantwortung. Der Bürger kann dann genau zuordnen, wer für welche Regelung verantwortlich ist. Im derzeitigen undurchsichtige System - Bund-Länder-Kompetenzen, Zustimmungspflicht des Bundesrates, die ganzen Kommissionen, die in die Entscheidungen eingebunden sind - ist eine klare Zuordnung der politischen Entscheidungen kaum mehr möglich. Der Wähler hat keine politische Option mehr. Wir müssen von diesem System organisierter Unverantwortlichkeit wegkommen und die Durchschaubarkeit fördern. Den Parlamenten wird vorgeworfen, dass sie an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig seien. Grimm: Die Fraktionen hätten in der Tat größeres Selbstbewusstsein gegenüber ihren jeweiligen Regierungen zeigen und auch mal Stopp sagen müssen, als diese Kompetenzen abgegeben haben, um über den Bundesrat mehr bundespolitische Einflussmöglichkeiten zu bekommen. Es hat in der Vergangenheit mehrfach Föderalismus-Debatten gegeben, die alle im Sande verlaufen sind. Warum sollte es diesmal anders ausgehen? Grimm: Wir haben es beim Föderalismus-Konvent erstmals geschafft, alle Fraktionen aller Landtage auf eine gemeinsame Position zu verpflichten. Deshalb sind wir politisch stärker positioniert als vorher. Zudem ist offensichtlich der Leidensdruck jetzt so groß, dass es zu dieser gemeinsamen Position gekommen ist. Es muss etwas geschehen - das haben übrigens nicht nur Politiker erkannt. Föderalismus hat Konjunktur. Und das ist gut so. Wann rechnen Sie mit konkreten Ergebnissen? Grimm: Im Laufe dieser Legislaturperiode des Bundestags muss die große Lösung - also die Frage nach der Grundgesetzreform - erledigt werden. S Mit Christoph Grimm sprach TV-Redakteurin Inge Kreutz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort