Frankreichs Lehrer sagen "Non" zur Schulreform

Paris · Frankreichs Lehrer haben am Dienstag gegen die Reform der Mittelschule gestreikt. Bei einer Protestkundgebung in Paris zeigten vor allem die Deutschlehrer Flagge.

Es ist viel vom Sterben die Rede an diesem Dienstag vor dem Pariser Jardin du Luxembourg. "Nein zum vorprogrammierten Tod des Deutschunterrichts" hat ein junger Deutschlehrer unter ein Foto von Helmut Kohl und Francois Mitterrand an den Gräbern von Verdun geschrieben. Er ist gekommen, um zusammen mit hunderten Kollegen gegen die Abschaffung der zweisprachigen Klassen zu protestieren, die zur Reform der Mittelschule von Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem gehört. Neben ihm tragen drei Deutschlehrerinnen einen schwarzen Sarg aus Pappe über ihren Köpfen. Wer symbolisch darin liegt, wird sofort klar: Die deutsch-französische Freundschaft.

"Wollen wir Europa oder wollen wir es nicht? Darum geht es", sagt die Deutschlehrerin Catherine Taleb, die seit Jahrzehnten am Collège Thomas Mann in Paris unterrichtet. Mit 97 Prozent haben die Lehrer an ihrer Schule für den Streik gestimmt, mit dem sieben Gewerkschaften am Dienstag gegen die Reform des Collège protestieren - der allgemeinen Mittelschule von der sechsten bis zur neunten Klasse. Eine Beteiligung von landesweit gut 50 Prozent verzeichnet die Gewerkschaft SNES; das Bildungsministerium spricht von knapp 28 Prozent.

Regierung kündigt schnelle Verabschiedung an

Die sozialistische Regierung beeindruckt der Protest der Lehrer nur wenig. "Das Dekret wird so schnell wie möglich veröffentlicht", kündigt Premierminister Manuel Valls an. Die Reform in ein Gesetz zu gießen, vermeidet die Regierung sorgfältig. Denn dann müsstesie sich einer erbitterten Debatte in der Nationalversammlung stellen, wo sogar einzelne Sozialisten Widerstand leisten. Auch die Franzosen sind mehrheitlich gegen die Reform: 61 Prozent lehnen die Maßnahmen der Bildungsministerin ab, in denen sie eine "Anpassung des Niveaus nach unten" sehen.

Eine Meinung, die auch Jacques Paris vertritt. Der Generalsekretär der Gewerkschaft FO für die Mittel- und Oberschule verweist darauf, dass den Schülern mit der Reform wichtige Stunden gestrichen werden. Betroffen sind Fächer wie Französisch, Geschichte und Mathematik, die künftig für das neue fächerübergreifende Lernen Stunden opfern sollen. "Wie will man die Ergebnisse verbessern, wenn man Stunden streicht?", fragt Paris. Denn Frankreichs Schüler schneiden gerade in diesen Fächern regelmäßig schlecht ab.

Der Gewerkschaftsfunktionär wehrt sich auch gegen die neue Autonomie, die Rektoren künftig bekommen sollen, um selbst inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. "Einzelne Schulen werden sich auf Kosten anderer profilieren. Von Gleichheit kann keine Rede mehr sein", kritisiert der Gewerkschaftsfunktionär. "Das führt in die Ghetto-Bildung."

Dabei war es gerade das Gleichheitsprinzip, das Najat Vallaud-Belkacem zu ihrer Reform bewog. Denn dass in Frankreich die soziale Herkunft stärker als in anderen Ländern über den Schulerfolg entscheidet, haben internationale Vergleiche ergeben. Vallaud-Belkacem, die aus Marokko stammt und in Paris die Elitehochschule Sciences Po besuchte, strich deshalb alles, was sie für elitär hält: Die zweisprachigen Klassen ebenso wie die Europasektionen und den Lateinunterricht. Statt der "classes bilangues" ab der sechsten Klasse soll nun die zweite Fremdsprache ab der siebten Klasse für alle angeboten werden -mit nur zweieinhalb Wochenstunden. Viel zu wenig, findet die Vereinigung zur Förderung des Deutschunterrichts in Frankreich, ADEAF, die schon 41.000 Unterschriften gegen die Abschaffung der "classes bilangues" gesammelt hat.

Eine, die noch vom doppelten Sprachenunterricht profitierte, ist Alissa. Die 21-Jährige hat das Doppelabitur Abibac gemacht und absolviert nun ein deutsch-französisches Jura-Studium abwechselnd in Potsdam und Nanterre. "Ich will nicht, dass das abgeschafft wird, was mir meinen Weg ermöglicht hat", sagt sie - und schließt sich mit ihrer kleinen Deutschlandfahne dem Protestzug an.

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