Französische Ermittler durchkämmen die Vorstädte

Paris · Seit den Anschlägen von Paris durchsucht die Polizei jede Nacht Wohnungen. Ziele sind meist die Vorstädte, aus denen auch viele der Attentäter kommen.

Paris. Sie heißen Bobigny, Drancy oder la Reynerie: jene Vorstädte, in denen die Polizei seit der Anschlagsserie vom Freitag jede Nacht Wohnungen durchsucht. Einen Raketenwerfer, Dutzende Waffen, Computer, Festplatten und Handys beschlagnahmten die Ermittler.

"Alle Elemente sind nützlich, um kriminelle Banden und Terrorgruppen zu zerschlagen", sagte Innenminister Bernard Cazeneuve am Montag. Er hat durch den Ausnahmezustand freie Hand, Wohnungen von Verdächtigen durchsuchen zu lassen, ohne dafür die Genehmigung eines Richters zu brauchen. Und der Sozialist scheint diesen "état d'urgence" zu nutzen, um Tabula rasa zu machen - nicht nur im Terroristenmilieu.

Ziel der Polizeiaktionen sind vor allem die Vorstädte der Metropolen Frankreichs, jene Banlieue, die schon früher Attentäter hervorbrachte. So durchsuchten Polizisten la Reynerie, einen Vorort von Toulouse, in dem Mohammed Merah lebte. Der 25-Jährige hatte 2012 drei Soldaten sowie drei Kinder und einen Lehrer vor einer jüdischen Schule erschossen. Auch jetzt wurden die Ermittler in la Reynerie fündig: sie nahmen einen 30-Jährigen mit einer Pump Gun fest.

"Ghettos" nannte Regierungschef Manuel Valls die Banlieue, also jenen Gürtel um die großen Städte, in denen Arbeitslosigkeit und Armut fast doppelt so hoch sind wie anderswo. Zehn Jahre nach den Vorstadtunruhen 2005 richtete sich der Blick im Januar nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt wieder auf die Banlieues. Denn alle drei Attentäter, die Brüder Kouachi und Amedy Coulibaly, kamen aus Problemvorstädten rund um Paris. Ihr Profil der Einwandererkinder aus der Banlieue, die sich dem Dschihad verschreiben, haben auch die Attentäter vom Freitag.

Omar Ismaïl Mostefaï, einer der Angreifer auf das Bataclan, wuchs in Courcouronnes im Süden von Paris auf. Laut Staatsanwaltschaft wurde er mehrfach wegen Kleinkriminalität verurteilt, ohne je im Gefängnis zu sitzen. Auch Samy Amimour, der sich ebenfalls im Bataclan in die Luft sprengte, kam aus der Vorstadt: in der Siedlung La Boule in Drancy lebte er und kam in der Moschee von Blanc-Mesnil mit den Salafisten in Kontakt. Diese gewinnen laut dem Soziologen Gilles Kepel in den Banlieues an Einfluss. "Sie hören nicht auf, ihr ,Gebiet' zu vergrößern und die Vorstädte zu unterwandern", sagte Kepel bereits 2013. Durchsuchungen führten zu Kriminellen ohne Terrorhintergrund.

"Der Ausnahmezustand muss dazu dienen, die Vorstädte zu entwaffnen", forderte die Rechtspopulistin Marine Le Pen am Wochenende. Waffen stellten die Polizei in der Tat in den vergangenen Tagen sicher. Die Ermittler mussten allerdings einräumen, dass die Festgenommenen bisher fast durchweg Kriminelle waren. Le Pens Vorurteil, dass die Banlieue von Islamisten unterwandert ist, bestätigten die ersten Festnahmen nicht.

Die Vorstädte wehren sich auch gegen dieses Image, das ihnen spätestens seit den Anschlägen auf Charlie Hebdo anhängt. "Hier gibt es nicht mehr Islamisten als anderswo", sagte etwa im Januar der Bürgermeister von Gennevilliers, wo Chérif Kouachi lebte. Nach den Anschlägen wird er es noch schwerer haben, den Ruf seiner Stadt zu verteidigen.

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