Französische Nationalmannschaft: Wie aus einer Liebesgeschichte zunehmend Rassismus-Vorwürfe entstehen

Paris · Die Nationalmannschaft wird nur noch von einem guten Drittel der Franzosen geliebt. An die Stelle von Verehrung sind Rassismus-Vorwürfe getreten.

"Das ist eine Liebesgeschichte zwischen 22 Fußballspielern und dem französischen Volk", schwelgte der Reporter des Fernsehsenders France 2 am 13. Juli 1998 bei der Ankunft der Nationalmannschaft auf den Champs-Elysées. Mehr als 600.000 Menschen jubelten damals den Weltmeistern um Zinédine Zidane zu - "Menschen aller Altersgruppen, aller Hautfarben." Elf Fußballer hatten das geschafft, was Politiker in den Jahrzehnten davor nicht erreicht hatten: sie brachten das Land zusammen. "Black-blanc-beur" war die "Equipe" aus Nachfahren schwarzafrikanischer und maghrebinischer Einwanderer sowie weißen Franzosen. Im Überschwang jenes 13. Juli schien Frankreich ein einziges Multi-Kulti-Land zu sein.

Doch es kam anders: spätestens 2005, als die französischen Vorstädte brannten, war klar, dass die Integration von Einwanderern wie Zidane zwar im Stadion, aber kaum in der tristen Banlieue möglich war. Zusammen mit der Stimmung im Land kippte auch die Unterstützung für die Bleus. "Der politische und soziale Kontext mit den Unruhen in der Banlieue, dem Erfolg der Rechtsextremen und dem Misstrauen gegen die Vorstadtjugend hat auf den Fußball abgefärbt", sagt der Politologe Emmanuel Blanchard in der Zeitung "Le Monde".

Tiefpunkt WM 2010

Der Tiefpunkt war bei der WM 2010 erreicht, als die Nationalmannschaft nach dem Rauswurf des rüpelnden Nicolas Anelka das Training boykottierte und statt dessen im Bus sitzen blieb. Seither haben sowohl Spieler als auch Trainer gewechselt, doch die Liebe der Franzosen hat die Elf nicht zurückgewonnen. "Es gibt eine Abkehr von der Mannschaft", bemerkt der Sportsoziologe Ludovic Lestrelin von der Universität Caen. Nur 38 Prozent der Franzosen haben eine gute Meinung von dem Team um Antoine Griezmann und Paul Pogba.

"Man wirft ihnen vor, böse Jungs zu sein, die Frankreich nicht respektieren", erklärt Lestrelin. Das gelte vor allem für die Spieler, die aus Einwandererfamilien kommen. Besonders stark ist die Abneigung gegen Karim Benzema, gegen dessen Rückkehr in die Nationalmannschaft sich im Dezember 82 Prozent der Franzosen aussprachen. Damals wurde bekannt, dass der Spieler von Real Madrid versucht haben soll, seinen Kollegen Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo zu erpressen. Obwohl es nie zur Anklage kam, entschied sich Trainer Didier Deschamps dagegen, Benzema für die EM aufzustellen.

Eine Entscheidung, die der einstige französische Fußballer des Jahres dem Coach übel nahm. "Didier Deschamps ist vor dem Druck eines rassistischen Teils von Frankreich zurückgewichen", sagte der 28-Jährige im Interview mit einer spanischen Zeitung. Er war nicht der Erste, der Deschamps wegen Rassismus kritisierte. Auch der einstige Nationalspieler Eric Cantona erhob ähnliche Vorwürfe, weil der Trainer ausgerechnet Benzema und Hatem Ben Arfa, ebenfalls nordafrikanischer Herkunft, nicht nominiert habe.

"Ein Benzema muss beispielhafter sein"

"Es hätte nie Streit um Karim Benzema gegeben, wenn er ein vorbildlicher Spieler gewesen wäre", entgegnete das einstige Fußballidol Lilian Thuram in einem Interview mit der Zeitung "Journal du Dimanche". "Zu behaupten, dass Rassismus dahintersteckt, ist gefährlich, denn es entwertet den echten Rassismus", ergänzte der Spieler der Weltmeister-Elf 1998, der 2008 eine Stiftung gegen Rassismus gründete. Doch an die Nachfahren der Einwanderer würden höhere Ansprüche gestellt: "Ein Benzema muss beispielhafter sein als andere."

So wird bei den Spielern mit Migrationshintergrund genau hingeschaut, ob sie die Hymne mitsingen oder womöglich das blaue Trikot der Nationalmannschaft nur aus finanziellen Gründen tragen. Vor allem der ausländerfeindliche Front National spart nicht mit Kritik. So giftete Parteichefin Marine Le Pen gegen die "schlecht erzogenen Spieler, denen es offensichtlich egal ist, dass sie Frankreich repräsentieren." Der Mythos Black-Blanc-Beur sei "grotesk", weil er die Herkunft der Fußballer völlig ausblende.

Doch genau diesen Mythos versucht Präsident François Hollande wieder zu erwecken. "Ihr seid Frankreich, ganz Frankreich", sagte der begeisterte Fußballfan beim Besuch der Nationalmannschaft am Wochenende im Trainingslager Clairfontaine. Die "Bleus" dankten es ihm mit einem Trikot mit der Nummer 24 - der 24. Mann in einem Turnier, in dem es um mehr als nur den sportlichen Erfolg geht.

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