Freibrief oder Hilfe in der Not?

TRIER. Weniger Abtreibungen oder nachlässigere Verhütung? Die "Pille danach", die nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft verhindert, soll demnächst rezeptfrei in Apotheken erhältlich sein. Die Folgen eines solchen Schrittes sind umstritten.

Kondom gerissen, Anti-Baby-Pille vergessen - in solchen Fällen verschreiben Frauenärzte ihren Patientinnen auf Wunsch die "Pille danach". Sie verhindert die Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter (siehe Stichwort). Von 2004 an soll das Medikament rezeptfrei in Apotheken erhältlich sein - das hat ein Sachverständigenausschuss aus Ärzten, Wissenschaftlern und Apothekern empfohlen. Das für die Freigabe zuständige Bundesgesundheitsministerium folgt den Empfehlungen dieses Gremiums fast immer. Hintergrund der Entscheidung ist die steigende Zahl von Abtreibungen bei unter 18-jährigen Frauen: Sie stieg von 4724 im Jahr 1996 auf 7443 im vergangenen Jahr. Aller Aufklärung zum Trotz verhüten mehr als zehn Prozent aller Jugendlichen beim "ersten Mal" nicht - oft mit der Begründung, es sei spontan passiert. Das haben Studien ergeben. Die Hemmschwelle, in solchen Fällen zur Apotheke zu gehen, sei deutlich niedriger als bei einem Arztbesuch, argumentieren Befürworter der Freigabe wie die Familienberatungsstelle Pro Familia. Ein leichterer Zugang sei eine Hilfestellung für Jugendliche, sagt Michael Charles, Sexualpädagoge bei Pro Familia in Trier. Tatsächlich verzeichnete man in Schweden einen Rückgang der Abtreibungen bei Teenagern, als die "Pille danach" ab April 2001 ohne Rezept zu bekommen war. Auch in Frankreich, Portugal, Norwegen, Schweden, Finnland, Belgien, Dänemark, England und der Schweiz ist das Medikament ohne Gang zum Arzt erhältlich. Zudem wirkt die Pille um so besser, je früher sie eingenommen wird - ein weiteres Argument für Pro Familia & Co, Betroffenen den "Umweg" über den Arzt zu ersparen. Und da kaum Nebenwirkungen aufträten, gebe es keinen Grund für eine Verschreibungspflicht. Das sieht der Trierer Gynäkologe Dr. Rudolf Sauter anders: Es gebe eine Reihe von Fällen, in denen Frauen die "Pille danach" auf keinen Fall nehmen dürften - etwa bei Problemen mit der Leber. Er hält die bestehende Verschreibungspflicht deshalb für richtig. Zudem fürchtet er, dass die Verhütung auf die leichte Schulter genommen werden könnte, wenn die "Pille danach" so einfach zu haben sei "wie man sich am Bahnhof Kondome zieht". Das Medikament enthalte so viele Hormone wie zwölf normale Anti-Baby-Pillen - eine Dosis, die Frauen ihrem Körper auf keinen Fall regelmäßig zumuten dürften. Schon deshalb sei der vorherige Weg zum Arzt angezeigt. Dass die Freigabe die Zahl der Abtreibungen verringert, bezweifelt der Frauenarzt: Wer die Empfängnisverhütung ernst nehme, komme auch jetzt an die Pille danach heran. Umgekehrt sei es fraglich, dass "diejenigen, die denken: ,Es wird schon gut gehen‘ und mit ihrem Eisprung sehr virtuos umgehen", sich die "Pille danach" eher besorgten, wenn sie sie ohne Rezept erhielten.Pro Familia: Keine Verrohung der Sitten

Noch kritischer beurteilt Michael Frisch von der Aktion Lebensrecht für alle (Alfa) in Trier die geplante Freigabe: Die Pille danach sei "ein früh abtreibendes Mittel, das entstandenes menschliches Leben" beende. Wie Sauter fürchtet er, dass der geplante Schritt "junge Leute in ihrer Sorglosigkeit bestärkt" - und ist skeptisch, dass es nach einer Freigabe weniger Abtreibungen gibt: Diesen Effekt habe man sich auch erhofft, als 1992 die kostenlose Abgabe der Pille an Frauen bis 21 Jahre eingeführt worden sei - vergeblich. Frisch plädiert dafür, die Verantwortung in den Vordergrund zu stellen. In diesem Punkt liegt er auf einer Linie mit dem Pro-Familia-Experten Charles: Priorität habe eine vernünftige, dauerhafte Verhütung. "Darauf weisen wir immer wieder hin." Die pessimistische Sicht auf die Folgen einer Freigabe teilt Charles dagegen nicht: "Ich sehe das nicht so schwarz, ich traue den Jugendlichen. Die Freigabe der ,Pille danach‘ wird nicht zu einer Verrohung der Sitten führen."

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