Friede, Freude, Herzog?

BERLIN. Das umstrittene Herzog-Konzept wurde gestern vom Bundesvorstand der Christ- demokraten abgesegnet. Beim Parteitag im Dezember in Leipzig soll es nun zu einem Leitantrag formuliert werden.

Einer von denen, die der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gerne zu der Politikerkategorie "altes Schlachtross" zählt, meldete sich gestern zu Wort. Norbert Blüm, das soziale Gewissen der Union im (Un-)Ruhestand. Was sich seine Partei mit den Vorschlägen von Alt-Bundespräsident Roman Herzog zu den Sozialreformen vornehme, "das ist nicht meine Welt", entrüstete sich der Arbeitsminister außer Dienst. Damit steht Blüm nicht alleine da in den C-Parteien. Seit Herzog vorgelegt hat, ringt auch die Union wie die SPD offen über den richtigen Reformkurs. Glaubt man allerdings der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, ist die Luft aus dem Streit fast schon wieder heraus. Gestern war es ein ungewohnt langer Sitzungstag für die Gremien der CDU. Schließlich sollten für die Partei zukunftsweisende, programmatische Weichen gestellt werden. Und als sich dann die Türen im Konrad-Adenauer-Haus nach gut sieben Stunden öffneten, stand fest: Das umstrittene Herzog-Konzept wurde vom Bundesvorstand bei zwei Gegenstimmen abgesegnet und soll nun zu einem Leitantrag bis zum CDU-Parteitag im Dezember in Leipzig formuliert werden. Eine "ganz überzeugende Führungsleistung" habe das Gremium erbracht, lobte eine entspannt wirkende Merkel im Anschluss an die Sitzung. Und in der Tat, die Debatte soll "sehr sachlich", so ein Teilnehmer, und "kameradschaftlich" (Merkel) verlaufen sein. Friede, Freude, Herzog bei der Union. So ist es aber nicht, und wenn doch, wird es nicht so bleiben. Die durch den Beschluss gestärkte CDU-Vorsitzende weiß nämlich, dass ihr noch "harte Diskussionen" ins Haus stehen werden. Grabenkämpfe könnte man auch sagen. Heute beginnt in Düsseldorf die erste von sechs Regionalkonferenzen, auf denen die Unionsspitze mit der Basis über die gravierende Reform der sozialen Sicherungssysteme debattieren will. Merkel selbst hatte sich in der vergangenen Woche zum Ärger einiger Parteifreunde schon demonstrativ hinter die Ergebnisse der Herzog-Kommission gestellt und sich bei einer Grundsatzrede als radikale Reformerin präsentiert. Nun will sie dafür bei den Landesverbänden werben. Der Christdemokratin ist klar, heißt es, dass sie für ihren eigenen Kurs, aber besonders für die einschneidenden Pläne Herzogs, die Basis hinter sich versammeln und mitnehmen muss, will sie daraus weitestgehend auf dem Parteitag in knapp zwei Monaten in Leipzig CDU-Programm machen. Sollte es der CDU-Vorsitzenden gelingen, ihre Partei bei den Regionalkonferenzen auf den regiden Reformkurs einzuschwören, wäre sie auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur 2006 wohl einen riesigen Schritt weiter. Heftiger partei-interner Ärger droht ihr allerdings weiter vom Arbeitnehmerflügel, denn der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse (CDA), Hermann-Josef Arentz, und Arbeitsexperte Karl-Josef Laumann stimmten im Vorstand gegen die Herzog-Pläne. Statt einkommens-unabhängige Prämien-Modelle ("Kopfprämien") einzuführen und den sozialen Ausgleich für Geringverdiener aus dem Steuertopf zu finanzieren, sprechen sie sich für eine Mischung aus Bürgerversicherung und Kopfprämie aus. Auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch übte Kritik an dem Konzept und stichelte damit indirekt gegen Merkel. Streit gibt es überdies mit Teilen der CSU, mit der sich die CDU-Vorsitzende noch abstimmen muss.

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