Friede, Freude, Treueschwüre

Auf ihrem Wahlkampf-Kongress stellte die Union ihr Regierungsprogramm für die nächste Legislaturperiode vor. Gleichzeitig eröffnete sie damit auch offiziell den Wahlkampf. Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer stellten das Programm den Mandatsträgern sowie Funktionären der Parteien vor.

Berlin. Für die große Geste beim dahinplätschernden Wahlprogramm-Kongress der Unionsparteien ist ausgerechnet Horst Seehofer zuständig. Früher galten bayerische Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzende als Stachel im Fleisch des Regierenden von der Schwesterpartei CDU. Die Rolle hat sich gewandelt: Wenn er vor der Kanzlerin sprechen dürfe, so Seehofer schelmisch, sei er mehr ein "Messdiener". Und das beweist er fast unterwürfig: "Wir brauchen keinen Kandidaten, wir haben eine Kanzlerin", ruft der Bayer den rund 750 Teilnehmern zu. Jubel brandet auf, Angela Merkel erhebt sich freudig von ihrem Platz - und Seehofer dreht sich ganz langsam um und applaudiert ihr zu. Schöner und wärmer kann man einen Treueschwur nicht inszenieren.

Das war auch bitter nötig. In den letzten Tagen wirkte die Union kühl, zerstritten, fast verzweifelt, getrieben von einer selbst entfachten Debatte um Steuererhöhungen. Die vielen anderen Vorschläge des Programms wurden deshalb kaum zur Kenntnis genommen. Zwei sind daran schuld gewesen: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und der Baden-Württemberger Günther Oettinger, der die Debatte über eine höhere Mehrwertsteuer entfacht und damit für erheblichen Ärger in der Partei gesorgt hat. Ihm seien die Folgen seines Vorschlags nicht bewusst gewesen, heißt es aus Oettingers Umfeld. Er steht unter Beobachtung, das ist zu spüren. Die Parteiprominenz muss in drei Gesprächsrunden nacheinander auf dem Podium über die wichtigsten Themen des Programms sprechen, und als Oettinger an der Reihe ist, wird es ruhiger im Saal, es wird genau hingehört. Er leistet sich keinen weiteren Fauxpas. Es ist ein strapaziöser Talk-Marathon. Irgendwann können das auch die an der Bühnenseite platzierten Spitzenkräfte von CDU und CSU nicht mehr verbergen: Merkel feilt an ihrer Rede, Seehofer schaut gelangweilt, von der Leyen lässt sich einen Kaffee bringen, Schäuble ist bei allen ein gefragter Gesprächspartner, Müller und Guttenberg lesen, und der Schleswig-Holsteiner Peter Harry Carstensen sorgt mit Witzchen für ein wenig gute Laune. Zugleich ist man sichtlich darum bemüht, 90 Tage vor der Bundestagswahl den Eindruck zu verwischen, die Union sei ein vielstimmiger Chor, so freundlich geht man dort oben miteinander um. Das leidige Steuerthema wird absichtlich nur gestreift, selbst Angela Merkel geht nur beiläufig darauf ein. "Ich habe gelernt, damit zu leben, dass nicht alle einer Meinung sind", sagt sie. Nun müsse jedoch gelten: "Was schafft Wachstum? Das treibt uns an." Trotz Rekordverschuldung gehören Steuersenkungen im Umfang von 15 Milliarden Euro dazu.

Die Arbeitsteilung ist leicht erkennbar: Seehofer ist für Merkel-Lob und Wahlkampftöne zuständig. Merkel gibt die Staatstragende, die über die Krise und das große Ganze doziert. Ein Parteigänger: "Im Wahlkampf muss sie noch eine Schüppe drauflegen!"

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