Fünf Stunden für den historischen Umzug

Wie die Hotels in Washington hat auch die Adresse 1600 Pennsylvania Avenue eine feste Checkout-Zeit. Um 11 Uhr heute vormittag, so will es ein ungeschriebenes Gesetz, hat der scheidende Präsident das Weiße Haus besenrein zu übergeben. Denn von 16 Uhr an müssen Barack und Michelle Obama die Möglichkeit haben, offiziell jene 132-Zimmer-Villa in Beschlag zu nehmen, die ihr Zuhause für die nächsten vier Jahre sein wird.

Washington. Vor dem Einzug der Obamas ins Weiße Haus liegen fünf Stunden voller Hektik und Dramatik, in denen eine Hundertschaft von Möbelträgern, Dekorateuren, Malern, Floristen und Köchen versucht, den Wachwechsel möglichst reibungslos abzuwickeln.

Gegen 10.30 Uhr werden sich George W. Bush und Barack Obama zu einem kurzen Kaffeeplausch im "Blauen Zimmer" des Weißen Hauses treffen, dann trennen sich ihre Wege. Familie Bush fliegt nach einem letzten Rundgang im "Marine 1"-Helikopter in Richtung Texas, Familie Obama besteigt den gepanzerten tonnenschweren Cadillac für die kurze Fahrt zur Vereidigung vor dem Kapitol.

Dann schlägt die Stunde der Packer und Handwerker. Das Bush gehörende Inventar im "Oval Office", in den Nebenräumen und im Privatquartier wird in Kisten verpackt und zu wartenden Wagen getragen. Es folgt das Einräumen der Obama-Besitztümer - bis hin zum Aufstellen der Familienfotos auf dem Schreibtisch und Einräumen der Bücher. Das Ziel der fleißigen Helfer ist klar definiert: "Keine Kiste des einziehenden Präsidenten darf ungeöffnet bleiben", beschreibt Gary Walters, der 21 Jahre lang die dienstbaren Geister im Weißen Haus beaufsichtigte, die Aufgabe. Zudem werden Häppchen für ein leichtes Abendessen gerichtet.

Neue Matratzen - nicht selbstverständlich



Auch die Betten werden frisch bezogen und mit neuen Matrazen versehen - was nicht immer selbstverständlich war: Die First Lady Mamie Eisenhower klagte einst, dass sie beim Einzug geflickte Laken vorfand.

Das war nicht das einzige Mal, dass der neue Mieter des Weißen Hauses Grund zur Beschwerde hatte. Als im Januar 2001 George W. Bush die Räume von den Clintons übernahm, stellte man schnell fest, dass Bronze-Türgriffe fehlten: Sie waren als Souvenirs eingepackt worden. Und an den Tastaturen von mehr als 60 Computern hatten unbekannte Scherzbolde das "W" entfernt. Auch waren einige kostbare Möbel, die eigentlich zum Stamm-Inventar des Hauses gehörten, zunächst nicht aufzufinden - bis Hillary Clinton einräumte, diese seien "versehentlich" in der neuen Privatvilla der Clintons in New York gelandet. Sie musste sie zurückgeben. Fast alle Dienstakten sowie Aufzeichnungen von E-Mails und Telefonnummern werden traditionell nicht vernichtet. Im Fall Bush hat diese Verpflichtung durch die Irak- und Antiterror-Politik besondere Brisanz, weil dem Weißen Haus im Zeitraum zwischen März 2003 - dem Kriegsbeginn im Irak - und Oktober 2005 mehrere Millionen E-Mails angeblich "verloren gegangen" sind, wie es heißt. Bush-Anwälte wehrten sich noch in der vorigen Woche gegen einen Gerichtsbeschluss, der es unabhängigen Technikern erlauben würde, die Mails zu rekonstruieren.

Die meisten Bürobereiche des Weißen Hauses sind bereits geräumt. Aus dem Obama-Lager sind nur wohlwollende Worte über Bushs Kooperationsbereitschaft zu hören. Auch das war nicht immer so. Ex-Präsident Dwight Eisenhower etwa hasste seinen Vorgänger Harry Truman so sehr, dass er partout einen Einführungsrundgang ablehnte - und deshalb am ersten Arbeitstag sein Büro nicht fand. Diese Probleme dürfte Barack Obama nicht haben. Ihn erwartet noch etwa anderes: Die Tradition will es, dass der scheidende Präsident seinem Nachfolger einen handgeschriebenen Ratschlag in der obersten Schreibtisch-Schublade hinterlässt - und dass über den Inhalt Schweigen bewahrt wird.

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