Für die Briten wird Terror wieder zum Thema

Manchester · Zwölf Jahre blieb das Land von großen Anschlägen verschont. Beginnt mit den Attacken von London und Manchester eine Serie?

Manchester (dpa) Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Exakt zwei Monate nach dem Terroranschlag in der Nähe des Londoner Parlaments reißt eine Explosion zahlreiche Menschen in den Tod: Dieses Mal trifft es die Besucher eines Popkonzerts in Manchester. Ein lauter Knall - und mindestens 22 Menschen sterben, mehrere Dutzend erleiden Verletzungen. Viele der Opfer sind Kinder und Jugendliche.
Körper liegen regungslos auf dem Boden. "Sie waren ganz mit Blut bedeckt und wirklich sehr schwer verletzt", berichtet ein Mann. Auf der Flucht zu den Ausgängen werden Konzertbesucher niedergetrampelt. Unbegleitete Kinder schreien in Panik.
"Alle Terrortaten sind feige Angriffe auf unschuldige Menschen. Aber dieser Angriff sticht heraus wegen seiner abstoßenden, abscheulichen Feigheit," sagt Premierministerin Theresa May in London vor ihrem Dienstsitz Downing Street No. 10. Absichtlich habe man auf unschuldige, wehrlose Kinder und junge Menschen gezielt. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert den Anschlag für sich. Ein "Soldat" des Islamischen Staates habe eine Bombe platzieren können, meldete das IS-Sprachrohr Amak im Internet.
Was den Briten besonders weh tut: Die Wunden vom Terroranschlag vor zwei Monaten sind noch nicht mal vernarbt. Verwelkte Blumen finden sich noch hier und dort nahe des Londoner Parlaments. Ein Attentäter steuerte im März ein Auto absichtlich auf einer Themse-Brücke in Fußgänger und erstach dann einen Polizisten. Der Täter war schon zuvor als gewaltbereiter Extremist aufgefallen und zum Islam konvertiert. Die blutige Bilanz: sechs Tote und Dutzende Verletzte.
Davor hatten die Briten gut zwölf Jahre lang Ruhe. Ein besonders schwerer Anschlag erschütterte das Vereinigte Königreich im Juli 2005. Damals zündeten vier Muslime mit britischem Pass in der U-Bahn und in einem Bus Sprengsätze. 56 Menschen starben, etwa 700 wurden verletzt.
Seitdem haben die Geheimdienste viele Pläne von Terrorgruppen durchkreuzt.
Nach dem Attentat am Parlament vor zwei Monaten hatte die Polizei deutlich sichtbar ihre Präsenz erhöht. Es wurden noch mehr Sperren für Fahrzeuge errichtet, Hubschrauber kreisten über Tage im Parlamentsviertel. Scotland Yard und die Geheimdienste melden zudem regelmäßig stolz die Festnahmen von Terrorverdächtigen. In Sachen Videoüberwachung ist Großbritannien ohnehin bestens gerüstet.
Kein Wunder also, dass der Kampf gegen den Terrorismus im Wahlkampf bislang keine große Rolle spielt. Am 8. Juni lässt Premierministerin Theresa May ein neues Parlament wählen. Das Vereinigte Königreich hatte bislang andere Sorgen jenseits des Terrorismus, vor allem die Scheidung von der EU und die große Schere zwischen Arm und Reich.
Doch nun wird der Wahlkampf der Parteien vorübergehend ausgesetzt. May hat stattdessen am Dienstag umgehend eine Krisensitzung in London einberufen. Viele Fragen müssen noch geklärt werden, zum Beispiel ob der Täter in Manchester einem Netzwerk angehörte. Und auch zeitliche Zusammenhänge müssen sicherlich überprüft werden.
So fand der jüngste Anschlag exakt zwei Monate nach der Terror attacke in Westminster und am vierten Jahrestag der Ermordung des britischen Soldaten Lee Rigby in London statt. Der 25-jährige Rigby wurde am 22. Mai 2013 vor seiner Kaserne mit einem Auto angefahren und mit Messern und einem Fleischerbeil getötet. Die Täter wollten Rache nehmen für Muslime, die angeblich von der britischen Armee getötet worden sind. Steht Großbritannien vor einem Terrorsommer?

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