Für Luxemburgs Politiker fällt die Sommerpause aus

Luxemburg · Rücktritt vom angekündigten Rücktritt: Vorerst bleibt die Regierung in Luxemburg im Amt. Bis zu Neuwahlen im Oktober. Am Mittwochabend hatte Regierungschef Juncker noch gesagt, das Kabinett werde seinen Rücktritt erklären.

Luxemburg. Es ist Mittwochabend, 21.57 Uhr, als ein sichtlich verärgerter Jean-Claude Juncker ans Rednerpult der Luxemburger Abgeordnetenkammer tritt. Zum zweiten Mal an diesem Tag. Doch diesmal fällt die Rede des 58-jährigen Regierungschefs kurz und knapp aus: "Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ausgerechnet die Sozialisten mir ein Bein stellen. Weil das so ist, können wir die Debatte gleich abbrechen. Ich schlage vor, dass wir morgen früh um zehn Uhr beim Großherzog um Entlassung der Regierung bitten."Premier ohne Mehrheit


Sagt es und tritt mit verbitterter Miene ab. Überraschendes Ende eines Redemarathons vor dem Luxemburger Parlament. Als Sozialisten-Chef Alex Bodry zwei Stunden zuvor verkündet hat, einen Misstrauensantrag gegen Juncker zu stellen, spätestens da ist klar, dass die seit 2009 regierende große Koalition in Luxemburg am Ende ist. Juncker steht ohne Mehrheit da. Regierungskrise in dem Land, das so sehr auf politische Harmonie setzt.
Doch am Morgen danach sieht alles wieder ganz anders aus. Die Regierung wird doch nicht zurücktreten. Zumindest vorerst. Das Kabinett verständigt sich hinter verschlossenen Türen dar-auf, bis zu den Neuwahlen im Oktober im Amt zu bleiben. "Wir brauchen eine beschlussfähige Regierung", begründet Juncker nach der Sitzung die Entscheidung. Am Nachmittag hat er beim luxemburgischen Staatschef, Großherzog Henri, offiziell um Neuwahlen gebeten.
Allerdings sind vorgezogene Wahlen in der Luxemburger Verfassung eigentlich gar nicht vorgesehen. Daher muss zunächst ein neues Gesetz verabschiedet werden. Das könnte bereits kommende Woche geschehen.
Fakt ist: Die Sommerpause wird für die Luxemburger Politiker in diesem Jahr ausfallen. Die Zeit bis zum möglichen Wahltermin am 20. Oktober ist knapp. 60 Tage vorher müssen die Parteien ihre Listen aufgestellt haben - also bis Mitte August. Zwei Wochen vor der Wahl würde dann das Parlament aufgelöst.
Daher verwundert es nicht, dass die luxemburgischen Parteien quasi noch am Mittwochabend auf Wahlkampfmodus geschaltet haben. Junckers christsoziale CSV hat sich unmittelbar nach dessen Abgang im Parlament auf ihrer Internetseite demonstrativ hinter ihr seit 1995 regierendes Aushängeschild gestellt und verkündet auf orangefarbenem Hintergrund mit Junckers Konterfei "Mir mam Premier!" (Wir mit dem Premier!). Juncker hat noch am Mittwochabend bestätigt, dass er bei Neuwahlen wieder antreten will. Er sei weder tot noch im Gefängnis, sagt er noch in der Abgeordnetenkammer.Umfunktioniertes Sommerfest


Kurzerhand hat die CSV das seit längerem geplante Sommerfest gestern Abend in Hesperingen in der Nähe von Luxemburg-Stadt zu einer außerordentlichen Parteiversammlung gemacht. Die Sozialistische Arbeiterpartei LSAP und die Grünen wollen jeweils kommende Woche zusammenkommen. Bei den Sozialisten haben bereits mindestens zwei Politiker ihr Interesse als Spitzenkandidat angekündigt: Außenminister Jean Asselborn und Wirtschaftsminister Etienne Schneider. Auch Parteichef Bodry will angeblich seinen Hut in den Ring werfen.
Die LSAP gibt die Schuld am Bruch der Koalition allein der CSV, weil diese sich gegen den Untersuchungsbericht zu der Geheimdienstaffäre ausgesprochen habe. In dem Bericht wird Juncker ganz klar die Verantwortung für Unregelmäßigkeiten bei dem luxemburgischen Nachrichtendienst SREL gegeben. Spannend dürfte daher sein, wie sich die LSAP nach einer Wahl positionieren wird, falls es weder bei CSV noch bei den Sozialisten für eine Alleinregierung reichen sollte. Spätestens seit Mittwoch dürfte so viel Porzellan zwischen beiden Parteien zerdeppert worden sein, dass das Bündnis bis Oktober nur schwerlich wieder repariert werden kann. Auch die Liberalen, mit denen Juncker von 1999 bis 2004 regiert hat, haben sich in der aktuellen Debatte klar gegen den Regierungschef ausgesprochen.
Glaubt man jedoch Umfragen im Nachbarland, dann wird Juncker weiter im Amt bleiben. Zwar hielten vor den angekündigten Neuwahlen 71 Prozent der Befragten Juncker für den politisch Verantwortlichen für die Geheimdienstaffäre, gleichzeitig haben sich aber 63 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, dass er im Amt bleibt.Extra

Luxemburger Tageblatt: Seine Hybris brachte ihn (Juncker) zu Fall. (...) Neuwahlen wären nur dann eine echte Chance für alle, die auf diesem schönen Fleck Erde leben und arbeiten, wenn ihr Ergebnis die bleierne Vorherrschaft der CSV in Frage stellte. Dafür sind die Voraussetzungen in einem kurzen Wahlkampf leider nicht gegeben. Juncker und seine Partei werden weitaus stärker bleiben als die anderen - und wiederum in der Lage sein, sich einen gefügigen Partner zu bestellen. Luxemburger Wort: Kann durch Neuwahlen ein politischer Neuanfang erreicht werden? Zu große Hoffnungen sollten sich die Luxemburger Wähler und die im Großherzogtum lebenden Nicht-Luxemburger nicht machen. Die Parteien werden es in den wenigen Wochen bis zum Wahltermin im Oktober nicht schaffen, sich neu aufzustellen. Braunschweiger Zeitung: Nicht wenige sagen, Juncker treffe der Fluch der guten Tat. Als mehrfach wiederberufener Chef der Euro-Gruppe hat er mit Ruhe, Sachkunde, diplomatischem Geschick und großem persönlichen Einsatz viel dafür getan, die europäische Währung durch ihre größte Bewährungsprobe zu führen. Dahinter mag Luxemburgisches zurückgestanden haben. Westfälische Nachrichten (Münster): Als großer Europäer zeigt sich Juncker im eigenen Staate von eher kleinmütiger Inkonsequenz. (...) Skandal? Egal. So etwas nennt man dann wohl "luxemburgische Verhältnisse". Neue Zürcher Zeitung: Juncker hat die Vorgänge im Geheimdienst wahrscheinlich unterschätzt. (...) Doch er hat Erfahrung in der Bewältigung von Krisen. Er war in schwierigen Zeiten Chef der Euro-Gruppe, eine Art Feuerwehrmann der Währungsunion. Mit seinem geschickten Schachzug, der Misstrauensabstimmung im Parlament zuvorzukommen und die Auflösung des Parlaments vorzuschlagen, hat er reelle Chancen, in wenigen Monaten wiedergewählt zu werden. Beim Volk genießt er nämlich - trotz Affäre - großen Rückhalt. . Dernières Nouvelles d\\'Alsace (Straßburg): "Man kann Juncker vieles vorwerfen, besonders, das Großherzogtum nach Überwindung der Stahlkrise in ein Steuerparadies umgewandelt zu haben. (...) Doch niemand wird sein aufrichtiges europäisches Engagement bezweifeln können. Und als Vorsitzender der Euro-Gruppe hat Juncker sein Bestes getan, oder zu viel, bis hin zum Angriff auf die heilige Souveränität der Staaten. Leider wird er aus dieser Luxemburger Affäre geschwächt herauskommen - zum Schaden der Überreste der großen Idee Europa.

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