Fürchterlichste Fragen menschlicher Existenz

Berlin · Der Bundestag beginnt langsam, sich auf eine hochemotionale Debatte vorzubereiten: über die Sterbehilfe. Es geht um die letzten Fragen der Existenz.

Berlin. Wer darf unheilbar Kranken wie helfen, wenn sie nicht mehr leben wollen? Wo sind die Grenzen und wie fließend ist der Übergang letztlich bis zur Euthanasie? Deutschland tut sich besonders schwer mit diesen Fragen, die in einigen Nachbarländern sehr liberal geregelt sind. Auf der anderen Seite stehen Verzweifelte. Lässt man ihnen nur die Wahl, sich vor einen Zug zu werfen, statt würdig aus dem Leben zu scheiden? Oder müssen sie in die Schweiz reisen? Und was ist mit jenen, die beides nicht mehr können?
8000 Euro für einen Giftcocktail


In der letzten Legislaturperiode scheiterte ein schon im Bundeskabinett beschlossener Gesetzentwurf, der das Wirken kommerziell handelnder Sterbehilfe-Vereine verbieten wollte. Einen solchen Verein hatte zum Beispiel der frühere Hamburger Senator Roger Kusch gegründet; er nahm 8000 Euro für seine Sterbebegleitung, die darin bestand, den Todeswilligen einen Giftcocktail anzubieten. Ein CDU-Parteitag Anfang 2012 wollte das vom Kabinett geplante Verbot auch auf nichtkommerzielle ehrenamtliche Sterbevereine erweitern, was der mitregierenden FDP aber zu viel war. Das Gesetz scheiterte am Koalitionszwist.
Zwischen Union und SPD besteht jetzt immerhin Einigkeit, dass bei einem neuen Vorstoß kein Fraktionszwang gelten soll. Gleich nach der Sommerpause soll das Verfahren mit Anhörungen in den Fraktionen beginnen, im Spätherbst gibt es eine fraktionsübergreifende Veranstaltung. Danach dürften sich Abgeordnete zu sogenannten Gruppenanträgen zusammenfinden. Abgestimmt wird erst 2015.
Gesundheitsminister Hermann Gröhe vertritt die Mehrheitsmeinung in der CDU: Verbot jeglicher organisierter Sterbehilfe unter Strafandrohung. Zwar ist nach geltendem Recht die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland anders als die (aktive) Tötung auf Verlangen straffrei und soll es auch nach Gröhes Willen bleiben. Aber, so der Minister in einem Interview, "es ist etwas anderes, wenn die Beihilfe organisiert angeboten wird". Dann werde die Selbsttötung praktisch zur Behandlungsvariante - und die abschüssige Bahn beginne. Am Ende werde dann womöglich von anderen über den "mutmaßlichen Willen" von nicht mehr entscheidungsfähigen Kranken oder Behinderten entschieden werden.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe äußert sich ähnlich: "Es würden vor allem schwerst Pflegebedürftige unter Druck geraten, diese Lösung zu wählen", so Hüppe gegenüber unserer Zeitung. "Davor habe ich Angst." Etwas geschwächt wird diese auch von den Kirchen getragene Position durch Äußerungen des scheidenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Nikolaus Schneider. Er kündigte kürzlich an, er werde seiner schwer krebskranken Frau zur Seite stehen, "wenn sie das Geschenk des Lebens an Gott zurückgeben" wolle.
Keine Tötung auf Verlangen


Eine nach eigenen Worten "mittlere Position" nimmt die Vorsitzende des Sozialausschusses, Kerstin Griese (SPD), ein. Sie ist zwar ebenfalls gegen die organisierte Sterbehilfe, will jedoch nicht das Strafrecht anwenden, sondern das Vereins- oder Betäubungsmittelrecht. Vor allem will sie die Palliativmedizin und Hospize stark ausbauen, "damit niemand mehr in die Schweiz fahren muss", so Griese auf Anfrage.
Einig sind sich bisher alle, dass es ohnehin immer nur um passive Hilfen geht; der Sterbewillige muss die letzte Aktion selbst machen. Auch das Sterbenlassen durch den Verzicht auf aussichtslose Therapien soll Ärzten erlaubt bleiben, zumal wenn eine Patientenverfügung vorliegt.
Die Tötung auf Verlangen, die zum Beispiel in Belgien oder Holland praktisch jeder begehren kann, will hingegen im Deutschen Bundestag bisher niemand erlauben.

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