Gabriel wirft Atomwirtschaft den Fehdehandschuh hin

Nach der Panne im Atomkraftwerk Krümmel stellt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Bedingungen für ein Wiederanfahren des umstrittenen Reaktors. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) drohte dem unter Druck geratenen Stromkonzern Vattenfall am Freitag hingegen mit einer Schließung. Er will eine erneute Anschaltung des Atommeilers notfalls mit einer atomrechtlichen Weisung unterbinden.

Berlin. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bestreitet nicht, dass er mit seiner Atompolitik Wahlkampf macht. Im Gegenteil: "Die Bürger müssen wissen, dass es fundamentale Unterschiede zwischen den Parteien gibt". Die erneute Havarie im Kraftwerk Krümmel nimmt der Minister nun zum Anlass, um der Atomwirtschaft seine Folterwerkzeuge zu zeigen. Mindestens bis zur Neubildung der Regierung kann er das noch.

Der knallharte Kurs trifft zunächst den schwedischen Energiekonzern Vattenfall. Gabriel will für die Entscheidung, ob dessen Pannenmeiler Krümmel wieder hochgefahren werden darf, das neue "technische Regelwerk" anwenden. Und zwar, wie er betonte, in völliger Übereinstimmung mit Schleswig-Holstein. Dabei wird geprüft, ob das Kraftwerk, das 1984 in Betrieb ging, dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, was wenig wahrscheinlich ist.

Allerdings könnte Vattenfall gegen die Anwendung dieser neuen Vorschriften klagen, da auch das alte Regelwerk noch gilt.

Gabriels Ziel ist eindeutig: "Das Krümmel-Monster muss weg", sagte er gestern. Der Reaktor dürfe nicht wieder ans Netz.

Kanzlerin Angela Merkel ging sofort auf Gegenkurs. Wenn die Sicherheit gewährleistet und alle im Atomgesetz geregelten Vor-aussetzungen erfüllt seien, könne der Meiler auch wieder arbeiten, ließ sie postwendend erklären.

Allerdings, ihr CDU-Statthalter im hohen Norden, Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, scheint dabei nicht so ganz auf Linie zu sein. Carstensen hat jedenfalls nichts gegen die Anwendung des neuen technischen Regelwerks durch sein SPD-geführtes Sozialministerium, das in Kiel für die Atomaufsicht zuständig ist. Es gebe in dieser Frage keine Meinungsverschiedenheiten in der Kieler Koalition, hieß es im Hause von Ministerin Gitta Trauernicht.

Ein weiterer Hebel gegen Krümmel könnten auch die festgestellten Schäden an mindestens einem der Brennstäbe sein. Zwar ist es normal, dass ein bis drei Prozent der vielen Brennstäbe im Lauf der Zeit Verschleißerscheinungen aufweisen. Krümmel wurde aber erst vor zwei Wochen wieder hochgefahren.

Forcierte Debatte um Atomausstieg



"Wir werden der Frage nachgehen, ob der Betreiber die Brennstäbe vorher ordentlich geprüft hat", hieß es im Berliner Umweltministerium. Wenn nicht, wäre das eine ernsthafte Verletzung der Sorgfaltspflichten Vattenfalls. Offenbar im Einklang mit Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier, der ebenfalls die Stilllegung Krümmels forderte, will Gabriel die Debatte um den Atomausstieg jetzt forcieren. "Die Union versucht, sich unter dem Teppich zur Macht zu schleichen. Da muss man ab und zu draufhauen und gucken, was drunter ist", meinte der Minister gestern plastisch. Beim Thema Atom komme "purer Lobbyismus" für die Energiekonzerne zum Vorschein. Gabriel will nicht nur keine Laufzeitverlängerung, die die Union fordert, sondern im Gegenteil eine Verkürzung. Jedenfalls bei den sieben ältesten Reaktoren.

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