Gauck: Ich bin ganz gelassen

Herr Gauck, glauben Sie immer noch an einen Sieg? Gauck: Natürlich kann ich rechnen. Von daher habe ich zunächst auch nicht die Erwartung, als Erster über die Ziellinie zu gehen. Was ist es dann?



Gauck: Mein Leben hat mich gelehrt, dass manchmal Unerwartetes Wirklichkeit wird. Insofern bin ich da ganz gelassen. Viele Menschen empfinden das Sparpaket als sozial ungerecht. Sie auch? Gauck: Ja, ich habe damit Probleme. Wenn gespart werden muss, sollen alle Gruppen der Bevölkerung je nach ihren Möglichkeiten die Lasten tragen. Dass reichere Menschen dann auch einen größeren Anteil beitragen, ist naheliegend und viele von ihnen sind ja dazu auch bereit. Wenn den Menschen mit den geringsten Einkünften der Heizkostenzuschuss gestrichen wird, aber die oben gar nichts spüren, dann stimmt etwas nicht. Horst Köhler hatte zum Beispiel Afrika als sein Schwerpunktfeld betrachtet. Welches würden Sie als Präsident beackern wollen?

Gauck: Wenn dieser Fall wirklich eintreten sollte, wäre mir die Ermutigung der Menschen zur Mitgestaltung ein besonderes Anliegen. Angst macht kleine Augen, und Furcht kann lähmen. Als Autor und Vortragsreisender spreche ich häufig darüber, dass die Probleme nicht wie ein unabwendbares Schicksal vor uns stehen. Wir haben die Fantasie und die Kraft, den Krisen zu begegnen. Das klingt ziemlich abstrakt.

Gauck: Nein, das ist ein ganz konkreter Aufruf, Verantwortung zu übernehmen - für das eigene Schicksal, aber auch für das Gemeinwesen. Ich will nicht in einem Land leben, in dem sich immer mehr Menschen von der Ebene des politischen Handelns entfernen und ihre Erfüllung nur noch im Konsum sehen. Diese Haltung ist für mich Ohnmacht ohne Diktatur. Und dagegen möchte ich etwas unternehmen. Ihr Vorschlag?

Gauck: Eine Möglichkeit sind mehr Volksabstimmungen insbesondere auf der Ebene der Bundesländer und Kommunen. Denn seit langem wird darüber debattiert, wie der Bevölkerung ihre Demokratie nähergebracht werden kann. Und wir brauchen eine deutliche Ermutigung zum Engagement in Parteien wie auch in Ehrenämtern. Sollte der Bundespräsident besser direkt vom Volk gewählt werden?

Gauck: Da spricht manches dafür. Aber das klingt jetzt billig, weil ich mich auf einer Welle unerwarteter Zustimmung befinde. Die Frage müssen Fachleute wie beispielsweise Verfassungsrechtler besprechen und dann wünsche ich mir eine breite Debatte. Einen Bundespräsidenten als Zweitregierung will ich nicht. SPD und Grüne geben vor, mit Ihrer Nominierung die Parteipolitik aus dem Präsidentenamt zurückdrängen zu wollen. Glauben Sie das?

Gauck: Sie meinen, ob ich von beiden Parteien benutzt werde? Natürlich kann ich auch ein taktisches Kalkül erkennen. Aber die Frage ist doch, ob sich meine Kandidatur in diesem Kalkül erschöpft, oder dass sie ein Angebot an die ganze Gesellschaft ist. Ich habe mich geprüft und bin zu dem Entschluss gekommen, dass dieses Angebot möglich ist. Und die Resonanz vieler Menschen auf meine Kandidatur hat mich darin bestärkt. Mit Joachim Gauck sprach unser Korrespondent Stefan Vetter.

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